Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Lareeb Khan / 02. November 2015

Am 02. November 2015 fand der sechste Verhandlungstag im Ehrenmord-Prozess in Darmstadt statt. Den angeklagten Eltern wird vorgeworfen, ihre erst 19-jährige Tochter Lareeb getötet zu haben.

 

Die behandelnde Ärztin von Lareebs Mutter als Zeugin 


Zu Beginn des 6. Verhandlungstages wurde zunächst die Hausärztin der Mutter Khan als sachverständige Zeugin angehört. Sie bestätigte die Rheuma-Erkrankung, die bereits 1999 aufgetreten war und in Schüben verlief. Sie habe auch immer wieder depressive Verstimmungen notiert.


Im Regelfall sei Frau Khan von Lareeb begleitet worden; manchmal sei auch Lareebs Schwester Needa mitgekommen. Ob Frau Khan sie auch allein in der Sprechstunde aufgesucht hatte, konnte die Ärztin nicht mit Sicherheit sagen.


Dass Frau Khan, wie von Needa dargestellt, auf einem Laufband Fitnesssport betrieben habe, hielt die Ärztin für unwahrscheinlich; sie hätte ihr Krankengymnastik verschrieben. Ein Ergometer hätte sie benutzen können.


Der Gang von Frau Khan sei zwar schleppend gewesen, aber sie sei ohne Hilfsmittel ausgekommen. Die Ärztin hatte dann aber auf Wunsch der Patientin im Sommer 2014 einen Rollstuhl verschrieben.


Erstmals erfuhr man auch, dass Frau Khan in den Jahren 2006 und 2009 zwei Fehlgeburten erlitten hatte.

 

Der Vernehmungsrichter als Zeuge


Als nächster Zeuge wurde der Richter angehört, der die richterliche Vernehmung durchgeführt hatte. Er hatte noch in Erinnerung, dass Frau Khan gleich gesagt hatte, sie hätte mit der Tötung nichts zu tun; es sei die Tat ihres Mannes gewesen. Auslöser sei der Brief von der Polizei gewesen, der zu einer Auseinandersetzung geführt habe. Die Tochter hätte die Hand gegen den Vater erhoben und ihn beleidigt. Da habe sie dann schon geahnt, dass etwas Schlimmes passieren werde.


Sie hätte dazwischen gehen wollen, ihr Mann hätte aber befohlen, dass sie weggehen solle. Auf seinen Druck hin hätte sie bei der Beseitigung der Leiche geholfen. Sie als Frau hätte die Tat nicht verhindern können, weil sie ohnehin nichts zu sagen hätte. Ihr Mann hätte schon früher angedroht, dass er die Tochter umbringen werde.


Sie hätte große Angst gehabt, dass der Diebstahl der Kondome an die Öffentlichkeit dringen könne und der Familie Schande drohte.


Der Zeuge konnte sich noch daran erinnern, dass die Zeugin auf die Frage, ob sie von ihrem Mann schon geschlagen worden sei, nicht nur gesagt hatte, sie sei noch nie von ihrem Mann geschlagen worden, sondern ungefragt hinzufügte, „ich hatte Angst, dass unsere Ehre verletzt wird, wenn Schlechtes von der Familie nach draußen dringt. Ich hatte Angst, dass die Sache mit den Kondomen nach draußen dringt und unsere Ehre verletzt wird.“ Befragt, wovor sie mehr Angst gehabt hätte, vor dem Gerede oder vor ihrem Mann, hätte sie ihren Mann angegeben.


Es wurden Teile der richterlichen Vernehmung vorgelesen, so, dass Frau Khan erklärt hatte, dass sie dabei war, als ihr Mann die Kamera abgeklebt hatte, denn „wenn etwas passierte, sollte ihr Mann nicht von der Kamera zu erkennen sein“.


Die Frage, warum sie nicht die Polizei geholt habe, wenn sie doch Angst gehabt hätte, hatte Frau Khan damit beantwortet, dass sie sich nicht vorstellen konnte, dass er so weit geht. „Mein Mann wollte die Tochter nicht umbringen, sie war schon die ganze Zeit aggressiv gegen ihren Vater“.


Auf die Frage: „Fanden Sie die Tötung richtig?“ habe Frau Khan erwidert, dass sie nach der Schlägerei gewusst hätte, dass etwas Schlimmes passieren wird. „Haben Sie Ihren Mann bestärkt?“ Sie habe ihn gefragt, warum er das macht: „Das ist nicht gut für unsere Familie."


Insgesamt sei die Angeklagte dem Zeugen weinerlich und selbstmitleidig erschienen; sie hätte zu keinem Zeitpunkt geklagt, dass ihr Medikamente fehlten.


Auch Herr Khan war von diesem Zeugen vernommen worden. Er hatte von Anfang an gesagt, er allein sei der Täter, er hätte seiner Frau gedroht, als sie versucht hatte, sich einzuschalten. Getötet habe er Lareeb wegen der Familienehre.


Needa war ebenfalls von diesem Zeugen vernommen worden. Bereits in dieser Aussage habe sie die Mutter als dominant dargestellt. Sie hätte im Familienkreis bestimmt.


Der Verteidiger wies darauf hin, dass im Protokoll von Needas Vernehmung 15x der Satz auftaucht „das hat Raheel (der Freund von Lareeb) mir so erzählt.“


Es wurde dann der Dolmetscher gehört, der bei der Polizei für Herrn Khan (und wenig auch für Frau Khan) gedolmetscht hatte. Es stellte sich dabei heraus, dass es sich um keinen vereidigten Dolmetscher handelte, sondern er sich bei der Polizei um Aufträge beworben habe unter Einreichung seines Zeugnisses über den erfolgreichen Abschluss eines Deutschkurses.

 

Die Erklärung des Vaters


Im Anschluss gab der Verteidiger des Herrn Khan für diesen eine Erklärung ab:
Die Erklärung seiner Ehefrau über die Stellung der Frau und über seine Wertvorstellungen sei korrekt. Nachdem Frau Khan mit ihm verheiratet worden war, musste sie ihm nach Deutschland folgen. Auch hier übte sie die traditionelle Rolle aus: Er traf alle Entscheidungen, sie sei nur ausführendes Organ gewesen. Sein gesamtes Leben sei von der Tradition Pakistans und der Ahmadiyya-Gemeinde geprägt gewesen und ist es noch.


In den ersten 25 Jahren seines Lebens hätte er überhaupt keinen Kontakt zu anderen Kulturen und einer anderen Lebensführung gehabt; er sei nur ein einfacher Bauer gewesen.


Seit seiner Ankunft in Deutschland sei er zwar mit anderen Lebenseinstellungen konfrontiert gewesen; seine Gedankenwelt sei aber von Pakistan und seinem Glauben bestimmt worden und entsprechend habe er sein Leben gestaltet. Begegnungen mit Andersdenkenden gab es nur am Arbeitsplatz, sonst sei sein Leben von der Glaubensgemeinschaft bestimmt gewesen.


Er liebe seine Familie, nach wie vor auch seine getötete Tochter. Er sei sehr glücklich gewesen, dass seine Töchter so religiös waren und sich ihrem Glauben unterwarfen. Deshalb habe es ihn so gestört, dass Lareeb sich aus eigenem Antrieb mit einem Jungen traf.  Nach der für ihn allein maßgeblichen traditionellen Rolle der Frau in seinem Glauben bestimmen die Eltern den Ehepartner und suchen ihn aus. Allein wegen dieser Regel sei er gegen eine Heirat von Lareeb und Raheel gewesen. 


Aus Liebe zu seiner Tochter hätte er sich dann aber schon im Sommer für die sofortige Heirat von Lareeb und Raheel entschieden. Allerdings seien sämtliche Bemühungen, in Kontakt mit Raheels Eltern zu kommen, ins Leere gegangen. Täglich sei er jedoch mit den verbotenen Kontakten zwischen Lareeb und Raheel konfrontiert worden; dabei hatte doch auch die Gemeinde den beiden den Kontakt verboten, aber sie hielten sich einfach nicht daran. Im Gegenteil: Im Herbst/Winter 2014/2015 veränderte sich Lareeb völlig. Sie wollte nicht mehr mit ihm sprechen und widersprach dem Vater nahezu täglich. In dieser Zeit habe er seiner Frau erhebliche Vorwürfe gemacht, dass sie bei der Erziehung völlig versagt hätte.


Bis dahin hätte er seine Sorgen nur mit sich selber ausgemacht, aber im Dezember hätte er dann begonnen, Gespräche mit Gemeindemitgliedern zu führen. Jetzt konnte er sich öffnen und musste erkennen, dass seine Erziehung versagt hatte. Über die Gemeindemitglieder erfuhr er immer nur von negativen Reaktionen der Eltern von Raheel. Dabei dokumentierte Lareeb durch ihr Auftreten, dass sie an ihrem Leben mit Raheel nichts ändern wollte. Schon zu dem Zeitpunkt war er enttäuscht und verzweifelt, dabei wusste er noch nichts von den Kondomen.


Ab Januar 2015 demonstrierte Lareeb, dass sie am Familienleben kein Interesse mehr hatte: Sie zog sich wortlos in ihr Zimmer zurück und versagte sich auch den Treffen mit anderen Familienmitgliedern.


Durch den Brief der Polizei erfuhr er dann von einem Ereignis (nämlich dem Diebstahl der Kondome), das ihn schier um den Verstand brachte; auch die Tatsache, dass seine Ehefrau schon vor ihm den Sachverhalt kannte, versetzte ihn in Rage und er machte der Ehefrau wieder heftige Vorwürfe.


Es kam dann zu einer Auseinandersetzung mit Lareeb, in deren Verlauf sie ihm sagte, sie mache, was sie wolle, er habe ihr gar nichts zu sagen. Sie bestimme selber über ihr Leben – und dann schlug sie nach dem Vater. 


Voller Erregung sei er nun auf Lareeb zugegangen – dann wisse er nur noch teilweise, was er tat. Lareeb hätte mit dem Handy auf dem Bett gesessen; dieses Handy war für ihn ohnehin ein rotes Tuch, denn es ermöglichte Lareeb den Kontakt mir Raheel, obwohl die Gemeinde das untersagt hatte. Als Lareeb dann auch noch sagte, sie werde so weiterleben, hätte er sie „wie von Sinnen“ an den Hals gefasst und zugedrückt. Auch als Lareeb auf das Bett fiel, hätte er weiter gedrückt.


Er wolle die Tat gern ungeschehen machen. Es gab keine gemeinsame Vorgehensweise mit seiner Ehefrau; diese musste nur machen, was er wollte.
 

Übersetzungsprobleme und eine Verlängerung des Verfahrens


Als der Richter dann fragte, ob die Erklärung, die vom Verteidiger abgegeben wurde, seine sei, wurde der Angeklagte von Tränen geschüttelt und bejahte. Nachfragen wurden nicht zugelassen, auch wenn der Richter auf erhebliche Widersprüche zur polizeilichen Vernehmung hinwies. Hier wies der Verteidiger dann darauf hin, dass man dem Angeklagten weder bei der Polizei noch bei der richterlichen Vernehmung einen Rechtsanwalt zur Seite gestellt hatte; Herr Khan hätte gehofft, dass man ihn fragt, ob er einen Rechtsanwalt möchte. Von sich aus hätte er das allerdings nicht gesagt.


Abschließend weise ich darauf hin, dass das Verfahren sich nun wohl doch noch länger hinziehen wird: Der Verteidiger der Mutter stellte den Beweisantrag, den Dolmetscher zu hören, der die Vernehmung von Frau Khan bei der Polizei übersetzt hatte (die Übersetzung sei aufgrund sprachlicher Missverständnisse falsch). Dieser hält sich derzeit allerdings in Pakistan auf und „soll“ am 20.11. zurückkommen. Ferner sollen noch Laptop und Handy von Raheel vollständig ausgewertet werden.


Der nächste Termin findet am 16.11. statt. Ein weiterer dann am 26.11., jeweils um 9 Uhr.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Darmstadt, 02.11.2015
 
Kontakt für weitere Informationen:
Pressestelle peri e.V.
Bachgasse 44
D-69469 Weinheim
E-Mail: kontakt(at)peri-ev.de
Internet: www.peri-ev.de