Kein Ehrenmord: BGH bestätigt Urteil / 15. Mai 2014

Im Jahre 2012 wurde eine junge Mutter getötet. Die Staatsanwaltschaft klagte den Vater des Opfers und den Ehemann wegen Mordes an, denn sie glaubte sich einem weiteren Ehrenmord auf der Spur. Dies verneinte der Bundesgerichtshof und bestätigte damit das Urteil des Landgerichts Osnabrück.

Doch der Tathintergrund sprach erst einmal für die Ehrenmord-Theorie: Gerade mal ein halbes Jahr nach dem Mord an Arzu Özmen wurde erneut, nicht all zu weit weg von Detmold, eine junge kurdische Frau umgebracht, die einer patriarchalisch strukturierten Familie entstammt.

Nach einer Zwangsheirat folgt die Befreiung

Müslime wurde als 18-jährige mit ihrem Cousin in der Türkei verheiratet (die Väter der Eheleute waren Brüder). Der Ehemann blieb zunächst in der Türkei, während seine Frau nach Deutschland zurückkehrte, wo sie ihren Sohn gebar. Erst 2012 reiste der Ehemann Hamza illegal nach Deutschland ein.

Seine Ehefrau hatte in der Zwischenzeit das Kopftuch abgelegt und sich einem Arbeitskollegen zugewandt. Sie lebte mit dem Sohn ein weitgehend normales Leben. Ob Müslime zu dem Arbeitskollegen eine intime Beziehung unterhielt, konnte das Gericht seinerzeit nicht klären, es war aber wohl so, dass ihr Vater und ihr Ehemann dies glaubten. Ein Zusammenleben der Eheleute gab es nach den Erkenntnissen des Gerichts zu keinem Zeitpunkt.

Aufgrund von Gewalttätigkeiten floh Müslime zwei Mal in ein Frauenhaus

Ihr Vater schaltete daraufhin einen „Vermittler“ ein, der Müslime zumindest dazu brachte, zur Familie, nämlich zu ihrem Bruder, zurückzukehren. Dieser Vermittler hatte von Müslimes Familie eine Garantie gefordert, dass ihr nichts passieren werde. Auch hier konnte im Prozess nicht geklärt werden, ob das Verhalten der Familie den Vermittler veranlasste, eine solche Garantie zu verlangen, oder ob es gängige Praxis dieses Vermittlers und damit eine „Formalie“ war.

Müslime jedenfalls wollte die Scheidung von ihrem Mann. Zeuginnen aus dem Frauenhaus hatten allerdings unterschiedliche Angaben über ihre Zukunftspläne gemacht: Einmal hatte sie erklärt, sie wolle mit dem neuen Freund wegziehen, ein anderes Mal hatte sie allerdings gesagt, der neue Freund wolle mit ihrem Kind nichts zu tun haben, so dass sie der Beziehung keine Chance gebe.

Im Haus des Bruders suchte Müslimes Mann sie auf und bei einem Streit, wohl wegen Müslimes Scheidungswunsch, schlug und würgte er sie, bis sie starb.
 
Das Landgericht Osnabrück hatte im Juni 2013 nach mehr als 25 Verhandlungstagen den Vater von Müslime freigesprochen und den Ehemann wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Es hatte dies damit begründet, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Tat auf die drohende Ausreise und vor allem die drohende Trennung von seinem Kind zurückzuführen sei (Müslimes Familie hatte sich eindeutig dahingehend positioniert, dass das Kind in Deutschland bleiben werde). Zwar gebe es gewichtige Anhaltspunkte auch für einen Ehrenmord, viele Aspekte sprächen aber dagegen. So sei der Wunsch nach einem Treffen mit ihrem Ehemann von Müslime ausgegangen, die eine SMS des Inhalts „Kommst Du? Es soll schnell vorbei sein.“ geschickt hatte, womit sie offenbar das Scheidungsverfahren meinte. Dies sprach in den Augen des Gerichts gegen eine gezielte Ermordung aus dem Ehrmotiv heraus.

Keine Anhaltspunkte für einen Ehrenmord

Ebenso sah das Gericht keinerlei Anhaltspunkte, dass Ehemann und Vater die Tötung besprochen hatten. Die Tatsache, dass der Vater den Zeugen aus der Familie ein „Schweigegebot“ auferlegt hatte, ließe nicht den Schluss zu, dass er an der Tat irgendwie beteiligt war. Dies sei wohl eher seinem allgemeinen Misstrauen gegenüber staatlichen Stellen geschuldet.

Auch die Tatsache, dass Müslime Angst vor ihrer Familie hatte, ließe nicht zwingend den Schluss auf einen Ehrenmord zu. Dazu fehle es an nachvollziehbaren Anhaltspunkten, warum Müslime diese Ängste hatte. Konkrete Drohungen seien nicht bewiesen worden, auch wenn ein Telefonat zwischen Mutter und Schwester den Schluss zuließen, dass durchaus auch schon mal über eine Tötung gesprochen worden war. Die Äußerung von Müslimes Schwägerin, Vater und Familie hätten „etwas Schlimmes vor“, gebe ebenfalls zu wenig Konkretes her. Das „Schlimme“ könne alles Mögliche sein.

Das Gericht konnte seinerzeit auch nicht ausschließen, dass für die Familie auch die Handlungsoption „Verstoßung“ noch in der Welt war, nachdem der Vater die Scheidung ablehnte. Auch eine solche Verbannung hätte die Familienehre wiederherstellen können. Dazu war erstinstanzlich das Gutachten des Prof. Jan Kizilhan eingeholt worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen das Urteil Revision eingelegt und beantragte, das Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Schwurgerichtskammer zu verweisen.

Der Bundesgerichtshof verhandelte und entschied am 15. Mai 2014 über die Revision der Staatsanwaltschaft.

Die Staatsanwaltschaft trug dabei vor, dass in ihren Augen die Beweiswürdigung fehlerhaft und lückenhaft gewesen sei. Das erstinstanzliche Gericht hätte die sozialethischen Maßstäbe, nach denen gehandelt worden war, verkannt. Sie führte aus, welche Beweise anders hätten gewürdigt werden müssen und dass, auch wenn die Tat nicht als Ehrenmord qualifiziert werde, auch die narzisstische Wut des Täters einen niedrigen Beweggrund darstellen könne. Immerhin hätten die Eheleute nie in einer Partnerschaft miteinander gelebt. Die Tat sei daher überhaupt nicht nachvollziehbar und beruhe ausschließlich auf ebenfalls nicht nachvollziehbarem Dominanzverhalten.

Die Verteidigung beschränkte sich weitgehend auf den Hinweis, dass die Beweiswürdigung ausschließlich Sache des Tatrichters sei und der Überprüfung durch das Revisionsgericht nur insoweit unterliege, als grobe Denkfehler und Verstöße gegen wissenschaftliche Erkenntnisse zu erkennen seien (als Beispiel führte der Verteidiger an: wenn das Gericht im Urteil zu dem Schluss gekommen wäre, der Rhein fließt Richtung Schweiz). Derartige Fehler seien nicht erkennbar. Vielmehr versuche die Staatsanwaltschaft, ihre Beweiswürdigung an die Stelle des Gerichts zu setzen, um den ursprünglichen Anklagevorwurf des Ehrenmordes zu retten.


Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft

Warum berichten wir über diesen Termin? Wir wollen zeigen, dass es sich die deutschen Gerichte keineswegs einfach machen mit der Entscheidung, ob ein Ehrenmord vorliegt oder nicht. Auch für Täter, die patriarchalisch strukturierten Familien entstammen und deren soziokultureller Hintergrund vielleicht auf Anhieb einen Ehrenmord vermuten lässt, gilt der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Und im vorliegenden Fall hat das erstinstanzliche Gericht offenbar hinreichende (und auch nachvollziehbare) Zweifel gehabt, dass die sog. „Familienehre“ der Grund für die Tat war. Der immer wieder gern gebrachte Satz „bei Deutschen heißt das Familiendrama“ wird damit ad absurdum geführt: Auch hier lag in den Augen des Gerichts eben ein „Familiendrama“ vor.

Peri hat seinerzeit den erstinstanzlichen Prozess nicht verfolgt, insofern können wir das Urteil des Landgerichts, das mit der heutigen Entscheidung rechtskräftig ist, auch nicht bewerten. Ein bisschen entstand der Eindruck, als sei der Ehemann der Durchführung eines Ehrenmordes durch die „Spontanität“ quasi zuvorgekommen.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 15.05.2014
 

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