Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Jolin S. / 25. November 2013

Am 25. November 2013 fand der fünfte Verhandlungstag im Ehrenmord-Prozess in Wiesbaden statt. Dem angeklagten  Isa wird vorgeworfen, die erst 22-jährige Jolin und ihr ungeborenes Kind getötet zu haben.

Zu Beginn der Verhandlung wurde der Koordinator der Ermittlungen angehört, der sehr ausführlich den Gang der Untersuchungen darstellte. Der Zeuge beschrieb auch, dass zunächst Jolins früherer Freund Ramin als tatverdächtig galt, dann aber doch relativ schnell ausgeschlossen werden konnte. Isa sei anfangs nicht der Tat verdächtigt worden, weswegen seine Wohnung erst etwa eine Woche später durchsucht und seine Kleidung, die er am Tattag getragen hatte, sichergestellt wurde.

Die Handydaten verraten, dass Isa im Haus von Jolin war

Der Beamte erläuterte auch noch einmal die Auswertung der Handydaten mit der sehr deutlichen Aussage, dass der Standort des vom Vater betriebenen Hähnchengrills unter keinen Umständen von der sog. Tatortfunkzelle hätte bedient werden können. Er verwies darauf, dass selbst das LKA mit seinen hochsensiblen Geräten keinen Empfang dort über den Tatortfunkmast erhielt. Umso weniger könne dies bei dem relativ alten Gerät von Isa der Fall gewesen sein. Anhand der Funkdaten wisse man auch, dass Isa schon am 4. Februar 2013 um die gleiche Uhrzeit im Haus von Jolin gewesen sei. Diese habe er dort aber nicht antreffen können, weil sie nach der Arbeit unmittelbar zum Fitnessstudio ging.

Der Zeuge berichtete auch von einem Spürhundeinsatz, der die Beamten von Jolins Wohnung zur Buchhandlung Hugendubel führte. Man habe auch einen weiteren Spürhund (sog. Bluthund) eingesetzt, um die Tatwaffe zu lokalisieren. Dies sei allerdings nicht gelungen. Ebenso beschrieb der Beamte, dass einer Zeugin nacheinander 10 Bilder gezeigt wurden. Auf den Fotos waren 5 Vergleichspersonen, Isa, sein Vater, Bruder sowie Ramin und sein Bruder abgebildet. Diese Zeugin, die einen Mann gesehen hatte, schloss alle Männer bis auf Isa und seinen Bruder aus.

Der Mörder wählte den Tatort mit Bedacht

Ferner erläuterte der Beamte im Zeugenstand auch noch die Übereinstimmung der Aussage des bereits angehörten Zellengenossen von Isa, der am 1. Verhandlungstag seine Aussage gemacht hatte, mit den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort: so habe es sich bei dem Tatort, dem Eingangsbereich des Wohnhauses, tatsächlich um den „idealen Abpassort“ gehandelt im Vergleich zu anderen Orten, an denen sich Jolin aufhielt. Der Eingangsbereich war überschaubar, man wusste sofort, wenn sich jemand näherte. Wäre jemand von außen gekommen, hätte ein Täter die Tür mit dem Fuß zuhalten können und auch eine Flucht wäre über den Hof relativ leicht zu bewerkstelligen gewesen.

Isas Leben war ein Spagat zwischen Moderne und Tradition

Der Polizeibeamte konnte sich auch noch daran erinnern, dass an Isas Kleiderschrank ein Zettel hing, mit dem sein Bruder ihn daran erinnerte, die Gebetszeiten einzuhalten.

Hier erlaubte sich der Zeuge ein Abschweifen: angesichts des Spagats, in dem Isa lebte, nämlich außerhalb der Familie die westliche Welt mit ihren Freiheiten, innerhalb der Familie aber archaische Traditionen, die das familiäre Leben prägten, sei für ihn, den Zeugen, die Verzweiflung von Isa, die dann wohl letztlich zur Tat geführt haben mag, verständlich.

Der Zeuge verwies noch auf den Eindruck der Kollegen, die Isa seinerzeit festgenommen hatten: dieser habe sich äußerst kooperativ gezeigt. Es sei allerdings auffällig gewesen, dass er nicht danach gefragt habe, was denn genau passiert sei, sondern sich mehr damit beschäftigte, sein eigenes Alibi zu präsentieren.

Die Verteidigung beantragt Aufhebung des Haftbefehls

Weiter im Prozess wurde der Leiter der Filiale Hugendubel in Wiesbaden vernommen. Dort will sich Isa zum Tatzeitpunkt aufgehalten haben, denn auf die Videoaufzeichnung stützt er sein Alibi. Allerdings hatten die Polizisten bereits bei den Ermittlungen festgestellt, dass die Uhrzeit der Videoaufzeichnung nicht der tatsächlichen Uhrzeit entspricht. Dies war mit einem Handy, das in die Kamera gehalten wurde, dokumentiert worden.

Der Filialleiter bestätigte, dass es entsprechende Abweichungen gegeben haben könne, die ihm bis zur Ladung allerdings nicht bekannt waren. Er selber habe nach der Vorladung dies überprüft und – jedenfalls am vergangenen Donnerstag –  eine Abweichung von 14 Minuten festgestellt. Er sei allerdings nicht für die Synchronisation der Uhren zuständig. Offenbar wird das aber auch nicht von den eingesetzten Detektiven erledigt. Einen Komplettausfall des Systems habe es in den vergangenen 10 Monaten nicht gegeben.

Für erhebliche Verwirrung sorgte anschließend der zur Tatzeit im Kontrollraum tätige Detektiv, der sämtliche Zeiten durcheinander brachte.

Er bestätigte, dass die Kamerazeit wohl falsch gewesen sei. Auf der Kameraaufzeichnung tauchte Isa erstmals um 18:22 Uhr auf – dies ist allerdings die falsche Uhrzeit, wie sowohl der Filialleiter als auch der Detektiv aussagten. Es gebe allerdings auch noch eine „Software-Zeit“. Nun meinte der Detektiv, dass die Kamera 18 Uhr gezeigt hätte, tatsächlich müsse es dann aber laut Software 18:22 Uhr gewesen sein. Dies stimmt offenkundig nicht mit der Auswertung der Kameradaten überein.

Gleichwohl veranlasste ausgerechnet diese unergiebige Aussage die Verteidigung zu dem Antrag, den Haftbefehl aufzuheben, weil nun kein Tatverdacht mehr gegen den Angeklagten spreche. Isa habe ein glasklares Alibi, zeigte doch die Aussage des Detektivs, dass er sich zum Tatzeitpunkt bei Hugendubel aufgehalten habe. Die Staatsanwaltschaft und Nebenklage wiesen darauf hin, dass die Aussage des Detektivs reichlich unergiebig war und wollten diesen Antrag abgewiesen wissen. Das Gericht wird darüber noch entscheiden.

Die Verteidigung stellte noch einen weiteren Beweisantrag. Ein Sachverständiger solle dazu Angaben machen, dass es sehr wohl möglich sei, dass sich das Handy des Angeklagten durchaus auch bei seiner Anwesenheit im Hähnchengrill des Vaters in den Funkmast der Tatortfunkzelle einloggen könne. Die bisherigen Funkzellendaten gäben keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte tatsächlich am Tatort aufgehalten habe.

Das Verfahren wird am 2. Dezember 2013 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 25.11.2013
 

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