Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Jolin S. / 4. November 2013

Jolin war erst 22 Jahre jung, als sie von Isa ermordet wurde. Der 23-jährige Afghane wollte Jolins Schwangerschaft vertuschen, weil er Angst hatte von seiner muslimisch geprägten Familie, wegen seiner Beziehung zu einer Deutschen, ausgestoßen zu werden. Nun steht Isa seit dem 8. Oktober 2013 in Wiesenbaden vor Gericht und musste sich gestern dem dritten Prozesstag stellen.

Zu Beginn des dritten Verhandlungstages wurde zunächst der ehemalige Arbeitgeber von Jolin gehört, in dessen Rechtsanwaltskanzlei sie als Sekretärin beschäftigt war. Der Zeuge bezeichnete Jolin als eine ausgesprochen qualifizierte Kraft, die auch positiv auf die Menschen zuging. Jolin erzählte ihrem Arbeitgeber im Dezember 2012, dass sie schwanger und zunächst nicht sicher war, ob sie das Kind behalten wollte. Diese Unsicherheit sei aber nur kurzzeitig gewesen.

Etwa 2 Monate später, im Januar 2013, erzählte Jolin dem Zeugen von ihrem damaligen Freund Isa und dass sie sich sehr von ihm bedroht fühlte. Ihre Angst sei deutlich spürbar gewesen. Ihr Arbeitgeber, der Zeuge, hatte ihr aus diesem Grund empfohlen, zunächst besser nicht zu Hause zu übernachten. Die Bedrohungslage sei entstanden, weil ihr Freund nicht wollte, dass Jolin das Kind austrug. Der Zeuge konnte sich noch genau an den Wortlaut von Jolins Erzählung erinnern. Ihr Freund wollte, dass »sie den Fleischklops wegmache« – diese Diktion werde er nie vergessen.

Jolins Vorfreude auf ihr Kind war unübersehbar

Eine Freundin von Jolin, die ebenfalls vor Gericht vernommen wurde, erzählte, dass sie über die Schwangerschaft erst von Jolins Mutter erfuhr. Daraufhin habe die Zeugin Jolin via E-Mail gratuliert, aber sie gleichzeitig auch darauf hingewiesen, dass sie sich das Ganze gut überlegen solle. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jolin allerdings ihre Entscheidung bereits getroffen und eine Abtreibung absolut ausgeschlossen.

Zwischenzeitlich hätte Jolin sogar die Hoffnung in sich getragen, dass Isa sich doch zu ihr und dem Kind bekennen würde. Der Angeklagte musste sich entscheiden und wurde vor die Wahl gestellt: Entweder steht er zu Jolin und ihrem gemeinsamen Kind oder zu seiner Familie, die diese Beziehung nicht duldete. Für einen kleinen Moment schien es, als hätte Isa sich für Jolin und das Baby entschieden, doch dieser Anflug von Verantwortungsgefühl hielt nicht lange an und so begann Isa wieder Jolin unter Druck zu setzen. Sie sollte um jeden Preis abtreiben!

Die Zeugin erinnerte sich noch daran, dass Jolin ihr ein Ultraschallbild des Ungeborenen geschickt hatte, mit der Anmerkung: »Guck mal, es lutscht schon am Daumen.«

»Isa ist ein totaler Psycho«

Die Nachbarin von Jolin hatte viele Streitigkeiten zwischen ihr und Isa mitbekommen und wurde als Zeugin vor Gericht geladen. Die Zeugin erfuhr im Dezember 2012 von Jolins Schwangerschaft und berichtete, dass die Schwierigkeiten zwischen ihr und Isa seit der Schwangerschaft stark zugenommen hatten. Die Zeugin konnte in ihrer Wohnung hören, dass Isa im Januar Jolin anbrüllte, sie solle abtreiben.

Die Zeugin hatte Isa im Januar zwei Mal im Hausflur gesehen, wo er auf Jolin wartete, die aber nicht kam. Am 28. Januar 2013 habe Jolin ihr eine Nachricht geschickt, dass Isa »total Psycho« sei. Dies veranlasste einen der Verteidiger nachzufragen, ob es sich bei dieser Äußerung vielleicht um einen Kosenamen gehandelt haben könne.

Isa selber hatte diese Zeugin via Facebook angeschrieben und sie aufgefordert, auf Jolin einzuwirken damit sie endlich abtreibe. Sie erhielt vom Angeklagten immer mehr Nachrichten dieser Art und sie bekam selber Angst, als an manchen Tagen nacheinander derartige Aufforderungen bei ihr eingingen.

Die Nachbarin berichtete, dass Jolin ihr gegenüber äußerte, dass Isas Vater nichts von dieser Beziehung wusste und auch nicht wissen durfte. Doch Jolin wollte das Kind auf jeden Fall und war auch bereit, auf Unterhaltungszahlen zu verzichten und das Kind alleine groß zuziehen.

Am Tatabend war die Zeugin zu Hause und hatte die Hilferufe einer anderen Nachbarin gehört.

Isas Vater wechselte die Straßeseite, wenn er Isa und Jolin zusammen sah

Jolin vertraute sich unmittelbar nach dem Arztbesuch einer Arbeitskollegin an und brach sofort in Tränen aus. Auch diese Zeugin bestätigte dem Gericht, dass Jolin enorm unter Druck gesetzt wurde abzutreiben. Die befreundete Kollegin und Zeugin empfahl Jolin daraufhin dringend mit ihrem gemeinsamen Arbeitgeber zu sprechen, der zuvor in der Verhandlung gehört wurde. Jolin befand sich damals noch in der Probezeit, doch die Zeugin versicherte, dass die Kanzlei sehr sozial eingestellt sei und man bestimmt eine gemeinsame Lösung finden könne.

Dieses Gespräch verlief offenbar sehr gut, denn danach habe sich Jolin sehr auf das Kind gefreut. Sie habe allerdings immer wieder SMS von ihrem Freund bekommen, der ihr weiterhin Druck machte.

Jolin hatte dieser Zeugin auch einmal erzählt, dass Isas Vater die Straßenseite wechselte, wenn er seinem Sohn in Begleitung von Jolin in der Stadt begegnete.

Entsetzliche Schreie alarmierten die Nachbarschaft

Noch am dritten Verhandlungstag wurde auch die Zeugin gehört, die seinerzeit den Notruf getätigt hatte. Diese hatte sich gerade zum Abendessen hingesetzt, als sie einen Schrei hörte, bei dem sie zunächst dachte, es handele sich um einen Hund.

Nach 2 Minuten hörte sie weitere Schreie, die nach ihrer Meinung von oben kamen. Es hörte sich an, als ob ein Mann und eine Frau schrien. Als die Schreie nicht aufhörten, habe die Zeugin dann die Tür geöffnet, aber niemanden gesehen und auch nichts mehr gehört. Sie habe dann die Treppe hinuntergeschaut und an der untersten Stufe eine Gestalt liegen sehen. Da der Mensch sich nicht bewegte und auch auf ihr »Hallo« nicht reagierte, habe sie zum Telefon gegriffen und die 112 angerufen.

Es seien dann relativ schnell die Feuerwehr und auch der Rettungswagen gekommen.

Isa wollte Jolin nur »flachlegen«, wie man das mit deutschen Frauen eben macht

Anschließend wurde Jolins Mutter gehört, die der Verhandlung täglich folgt, ebenso wie Jolins Vater.

Sie beschrieb das Verhältnis zwischen ihr und Jolin als nicht unproblematisch. Manchmal habe man sich eben nicht so gut verstanden, so die Mutter. Trotzdem war sie immer für Jolin da und half ihr auch bei der Suche nach einer neuen Wohnung.

Jolin hatte ihrer Mutter damals erzählt, dass im Café »Extrablatt« jemand arbeitet, den sie interessant fand. Sie sei dann mit einigen Freundinnen und mit Jolin dorthin gegangen und man sei mit Isa, der dort arbeitete, ins Gespräch gekommen. Zum Schluss hätten Jolin und Isa Telefonnummern ausgetauscht. Wie sich das mit Jolin und Isa weiterentwickelt hatte, das habe sie nicht so genau mitbekommen. Jolins Mutter hatte jedenfalls den Eindruck, dass Jolin Ersatz für Ramin suchte, ihren Ex-Freund, ihn aber auch in Isa nicht finden konnte.

Sie hatte aber mitbekommen, dass es zwischen Jolin und Isa viele Streitigkeiten gab, die insbesondere auf die Kontrollsucht und die Eifersucht von Isa zurückzuführen waren. Isa habe Jolin völlig eingeengt. Er habe sie nach seinen Vorstellungen formen wollen, aber dafür war Jolin zu selbständig. Zeitweilig seien in Minutentakt Kontrollanrufe gekommen.

Auch sexuell habe sich Jolin mit Isa nicht wohlgefühlt, da dieser keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nahm. Isa hatte Jolin mal erzählt, dass er sie ursprünglich nur mal »flachlegen« wollte, so wie er das mit deutschen Frauen eben machte.

Am 21. Dezember 2012 hatte Jolin ihrer Mutter eine E-Mail geschickt und ihr von der Schwangerschaft berichtet. Die Mutter hatte sich riesig gefreut. Sie hatte schon den Eindruck, dass Jolin das Kind gern mit einem Vater großgezogen hätte, aber schon nach kürzester Zeit war klar, dass Isa nicht zu dem Kind und zu Jolin stehen würde. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn Isa sich von seiner Familie vollständig zurückgezogen und jeglichen Kontakt abgebrochen hätte. Dies hatte Isa wohl auch zunächst in Aussicht gestellt, aber schon nach kürzester Zeit war davon dann keine Rede mehr.

Auf Nachfrage erklärte Jolins Mutter, dass sie davon ausging, dass Jolin ihr Kind weltoffen erziehen wollte, weder als Muslim noch als Christ. Allerdings sei ein Kopftuch für sie nicht in Frage gekommen.

Jolin war verletzt gewesen, dass Isa sie nie seiner Familie habe vorstellen wollen, denn dies hatte für Jolin zu einer Beziehung dazugehört.

Isas Verteidigung plädiert auf unschuldig

Isas Anwälte versuchen Jolins Ex-Freund Ramin als Täter aufzubauen. Aus diesem Grund wurde Ramins Alibi überprüft, der sich zur Tatzeit beim Zahnarzt aufhielt. Die behandelnde Zahnärztin wurde als Zeugin geladen, die bestätigte, dass Ramin um 17 Uhr in die Praxis kam.

Aufgrund starken Patientenaufkommens musste Ramin erst noch eine Weile warten und wurde im Anschluss etwa eine Stunde lang behandelt. Die Zeugin ist sich sicher, dass es sich bei dem von ihr behandelten Patienten um Ramin handelte, dessen Röntgenbilder von dem früheren Zahnarzt ihr vorgelegt wurden.


Die Verteidigung stellte noch einige Anträge, um weitere Zeugen zu vernehmen, insbesondere um nachzuweisen, dass der frühere Mitinsasse der JVA, der Isa gleich am 1. Verhandlungstag schwer belastet hatte, sich seine Geschichte weitgehend ausgedacht hätte.

Zuletzt wurde der Notarzt gehört, der zum Einsatzort gefahren war und dort um 18:41 Uhr ankam. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Jolin bereits im Rettungswagen und man versuchte sie noch vor Ort zu reanimieren. Doch Jolin hatte schon sehr viel Blut verloren und es waren 2 Stichwunden in den linken Brustkorb erkennbar. Herzschlag war nicht mehr feststellbar. Rückblickend resümierte der Arzt, dass Jolin wohl schon bei seinem Eintreffen verstorben war. Man habe sich aber auch deshalb besonders bemüht, weil es sich um eine so junge Frau handelte.

Die Verhandlung wird am 11. November 2013 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 4.11.2013
 

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