Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Jolin S. / 21. Oktober 2013

Seit dem 8. Oktober 2013 steht der Afghane Isa wegen Mordes in Wiesbaden vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, die erst 22-jährige Jolin und ihr ungeborenes Kind getötet zu haben. Am 21. Oktober 2013 fand der zweite Verhandlungstag statt, an dem die tragischen Ereignisse der Tat näher beleuchtetet wurden.

Zu Beginn wurde zunächst ein Kriminalbeamter gehört, der die Funkzellendaten der Mobiltelefone sowohl des Angeklagten als auch des früheren Freundes von Jolin, Ramin, und dessen Bruders ausgewertet hatte. Mit diesen Daten war es den ermittelnden Behörden möglich, ein ausführliches Bewegungsbild des Angeklagten zu erstellen. Ausgehend von diesen Daten habe sich Isa in der Zeit von 17:05 Uhr bis ca. 17:50 Uhr am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe aufgehalten. Zum eigentlichen Tatzeitpunkt war das Mobiltelefon des Angeklagten offenbar ausgeschaltet. Oder zumindest war es über einen Zeitraum von ca. 35 Minuten nicht eingeloggt.

Die Mobiltelefone von Ramin und dessen Bruder waren zu keinem Zeitpunkt in der Funkzelle, die den Tatort versorgt, eingeloggt.

Der Ort, an dem der Vater des Angeklagten einen Imbiss betreibt und wo Isa sich laut seiner polizeilichen Aussage zur Tatzeit aufgehalten haben will, wird nicht von der Funkzelle versorgt, die für den Tatort zuständig ist.

Isa war kontrollsüchtig und einer anderen Frau versprochen

Eine Zeugin, die sowohl mit Jolin als auch mit dem Angeklagten befreundet war, beschrieb Isa als einen sehr höflichen Mann. Von Jolin habe sie aber erfahren, dass der junge Mann sie immer kontrollierte, immer wissen wollte wo sie war und mit wem sie sich aufhielt. Die Kontrollsucht des Angeklagten ging offenbar so weit, dass er Jolin anrief und ihr sagte, dass sie zu Bett zu gehen habe, sie fragte, wo sie sich aufhalte, was sie gegessen habe, was sie trank, mit wem sie zusammen war, ob sie rauchte usw.

Offenbar nahm Jolin diesen Wahn von Isa hin, da sie eine feste Partnerschaft suchte. Die Beziehung Jolins zum Angeklagten beschrieb die Zeugin als eine „On/Off-Beziehung“: Manchmal waren die beiden zusammen, dann wieder getrennt, wobei die Trennungen meist von Jolin ausgingen. Später habe Jolin dann erfahren, dass Isa bereits einer anderen Frau versprochen war.

Nachdem Jolin dem Angeklagten eröffnet hatte, dass sie schwanger war, sei dieser laut Jolin völlig ausgerastet und wollte unbedingt, dass sie eine Abtreibung vornehmen lässt. Jolin habe den Angeklagten als „völlig psycho“ bezeichnet, so die Zeugin.

Einige Freundinnen hatten Jolin geraten, sich vom Angeklagten zu trennen und jeglichen Kontakt abzubrechen.

Die befreundete Zeugin hingegen empfahl Jolin, den Angeklagten zu einem Frauenarzttermin mitzunehmen, weil er beim Anblick der Ultraschallbilder des Ungeborenen vielleicht Vatergefühle entwickeln könnte. Dies war allerdings nicht der Fall. Vielmehr hätte der Angeklagte Jolin noch dort gesagt, wenn sie das Kind nicht entfernen lässt, werde „sie ihn kennenlernen“.

„Ich will nicht, dass mein Kind mit dem Kopftuch aufwächst“

Jolin hatte auch Angst, dass der Angeklagte ihr das Kind vielleicht wegnimmt, wenn sie es bekäme. Sie hätte ausdrücklich geäußert: „Ich will nicht, dass mein Kind mit dem Kopftuch aufwächst“. Diesbezüglich habe es starke kulturelle Differenzen zwischen Jolin und dem Angeklagten gegeben, der sogar prüfte, ob Jolin Schweinefleisch isst. So habe sie bei seinen täglichen Kontrollanrufen auch mal gelogen und vorgegeben, Hühnchen zu essen.

Jolin habe bereits geplant, in eine andere Stadt zu ziehen, dann hätte der Angeklagte auch nichts mit dem Kind zu tun haben müssen, zumal ihr der Angeklagte drohte, sie umzubringen.

Auf die Zeugin habe der Angeklagte nicht gewalttätig gewirkt. Er hätte viel für Jolin getan, hätte geputzt, gekocht, aufgeräumt. Für sie erschien Isa eher „weich“. Erst mit der Kenntnis der Schwangerschaft sei er laut Jolin nicht mehr wiederzuerkennen gewesen. Er sei „völlig anders drauf“.

Isa wollte das Baby seinen Eltern verheimlichen

Ein Freund des Angeklagten bestätige vor Gericht, dass Isa das Kind ursprünglich nicht wollte. Später habe er aber seine Meinung geändert und angekündigt, das Kind akzeptieren zu wollen, da es ja nichts dafür könne.

Der Angeklagte hätte allerdings seinen Eltern nichts gesagt, sondern schlicht gehofft, dass seine sie von alle dem nichts mitbekommen. Daher sei es sein Wunsch gewesen, dass Jolin abtreibt. Außerdem habe der Angeklagte im Ausland studieren wollen. Auch aus diesem Grund sei ein Kind für ihn finanziell äußerst ungelegen gewesen.

Jolin hatte auch diesem Zeugen gegenüber geäußert, dass der Angeklagte sie bedroht habe, was dieser in einem Gespräch mit dem Zeugen allerdings bestritt: Jolin arbeite doch in einer Anwaltskanzlei – da säße sie doch an der Quelle und könne gegen ihn vorgehen, wenn er sie bedrohte.

Ihm gegenüber hätte der Angeklagte jedenfalls die Tat bestritten. Er hätte sehr mitgenommen gewirkt.

Isa: „Frauen die nein sagen, wollen es doch erst richtig“

Später wurde eine Zeugin gehört, die früher als Taxi-Unternehmerin die Arbeitgeberin des Vaters des Angeklagten war. Hin und wieder fuhr sie beim Imbissstand ihres ehemaligen Angestellten vorbeifuhr, um dort einen Kaffee zu trinken. Dort habe sie dann auch die Söhne, eben auch den Angeklagten, kennengelernt.

Isa hätte sie einmal angerufen, um sich mit ihr zu treffen. Sie hatte ihn zu sich gebeten, weil sie davon ausging, dass er Probleme hatte, die er mit ihr vielleicht besprechen wollte. Dieses Treffen entwickelte sich allerdings völlig anders als die Zeugin erwartete.

Der Angeklagte hätte beim Betreten der Wohnung unmittelbar versucht sie „anzumachen“. Als die Zeugin sich dies verbat, erklärt Isa, dass Frauen, die nein sagen, die Schlimmsten seien, weil sie es doch erst richtig wollten. Beim Verlassen der Wohnung habe er dann noch äußerst ordinär reagiert und ihr angeboten, sich jeder Zeit melden zu können, wenn sie ihre Meinung ändert. Sie solle sich aber nicht zu lange Zeit lassen, denn „wenn die Titten erst einmal bis zu den Knien hängen“, hätte er auch kein Interesse mehr. Derzeit sei ja noch alles an seinem Platz.

Die Zeugin war äußerst verblüfft, weil der Angeklagte auf sie immer sehr ruhig wirkte. Er habe ihr gegenüber geäußert, dass sie, die Zeugin, ihn offenbar auch für ein braves Bübchen hielt. Das sei gut, denn das zeige, dass er ein guter Schauspieler sei und sein Vater würde das ja dann auch glauben.

Der Zeugin war bekannt, dass der Vater des Angeklagten mit der Freundin des Bruders nicht einverstanden war, weil ihm deren familiärer Hintergrund nicht gefiel. Da der Bruder sich aber weigerte, seine Cousine zu heiraten, habe der Vater von seinem Sohn verlangt, auszuziehen, denn dann könne er sich damit vor der Familie rechtfertigen.

Jolin freute sich sehr auf das Kind und wollte es christlich erziehen


Anschließend wurde ein Zeuge gehört, der mit Jolin befreundet war. Jolin habe ursprünglich nur gutes über den Angeklagten berichtet. Erst als sie schwanger wurde, hätte der Angeklagte sich völlig verändert und habe immer gedroht, dass wenn Jolin nicht abtreibe, sie den Afghanen in ihm kennenlernen werde.

Der Isa hätte Jolin mehrfach vor dem Arbeitsplatz aufgelauert und ihr auch gedroht, das Kind wegzunehmen.

Noch am 3. Februar 2013 hatte dieser Zeuge Jolin besucht. Sie war sehr glücklich und erleichtert, dass der angeklagte Isa sie seit einigen Tagen in Ruhe ließ.

Auf Antrag der Nebenklage wurde der jüngere Bruder von Jolin via Videokonferenz vernommen, um ihm eine Konfrontation mit dem Angeklagten zu ersparen.

Jolin zeigte ihrem Bruder die SMS, die sie vom Angeklagten bekommen hatte. In diesen standen oft Beleidigungen, die ihr sehr nahe gingen. Nach dem Besuch beim Frauenarzt habe der Angeklagte vor der Praxis gestanden und auch dort verlangt, dass Jolin abtreiben solle, sonst kämen sein Vater und sein Bruder und Jolin könne etwas erleben. Jolins Bruder erlebte die Situation als sehr bedrohlich und weinte, weil er Angst um seine Schwester hatte. Diese habe sich sehr auf das Baby gefreut und auf keinen Fall abtreiben wollen. Es stand für sie auch fest, dass das Kind keinesfalls muslimisch aufwachsen sollte, sondern sie wollte es christlich erziehen.

Laut Jolin sei die Familie des Angeklagten sehr gläubig gewesen. Häufig hätte der Angeklagte SMS geschickt, dass er nicht telefonieren könne, weil er in der Moschee war. Angeblich sei der Bruder des Angeklagten bereits von der Familie verstoßen worden, weil auch seine Frauenwahl den Grundsätzen des Vaters entgegen lief.

Anschließend wurde eine weitere Freundin von Jolin gehört, die im Januar 2013 tageweise bei Jolin gewohnt hatte. Sie bestätigte, dass der Angeklagte immer wieder Drohungen ausgestoßen hatte, um Jolin zur Abtreibung zu veranlassen.

Auf die Frage des Richters, wie Jolin zu ihrer Schwangerschaft stand, kamen der Zeugin dann die Tränen: Jolin hätte sich sehr auf das Kind gefreut. Die  Zeugin berichtete, dass sie Jolin oft Nahe legte, in eine andere Stadt zu fliehen, da Isa sie niemals in Ruhe lassen werden. Jolin hatte tatsächlich bereits Pläne nach Hamburg oder Berlin zu gehen, um dort ein neues Leben, in sicherer Entfernung zu Isa, aufzubauen.

Die Zeugin hatte auch einen Brief gesehen, den Jolin an die Familie des Angeklagten schreiben wollte und schon begonnen hatte. Sie hatte darin von ihrer Schwangerschaft berichtet und sich offenbar, worauf die Formulierungen hätten schließen lassen, Hilfe erhofft, damit der Angeklagte sie endlich in Ruhe ließe.

Das Verfahren wird am 4. November 2013 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 21.10.2013
 

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