Das Urteil im Ehrenmord-Prozess Jolin S. / 24. März 2014

Am letzten Prozesstag im Ehrenmordfall Jolin S. war der Zuschauersaale im Gericht rappelvoll und auch die Presse war zahlreich erschienen, denn das Urteil wurde erwartet. Es mussten einige Zuschauer vor der Tür bleiben.

Zunächst fragte das Gericht den Angeklagten, ob dieser noch etwas sagen wolle, aber dieser schwieg so, wie er es im gesamten Verfahren getan hat.

Nach einer kurzen Unterbrechung wurde dann das Urteil gesprochen: Der Angeklagte wurde wegen Mordes in Tateinheit mit Abtreibung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld unterblieb.

Zur Begründung führte das Gericht aus:

Isa hatte ein schwerwiegendes Motiv: Er hat die Tat vorbereitet, er befand sich zur Tatzeit im Bereich des Tatortes und er hat vergeblich versucht, sich ein Alibi zu beschaffen.

Zur Vorgeschichte der Tat führte das Gericht aus, dass Isa und Jolin sich in einem Wiesbadener Café kennengelernt hatten, wo Isa jobbte. Die Beziehung war von Anfang an von einem Hin und Her geprägt. Isa verheimlichte die Beziehung vor seiner Familie, weil er annahm, dass diese die Beziehung zu einer nicht-muslimischen Frau nicht dulden würde. Gleichzeitig versuchte er, Jolins Verhalten zu kontrollieren und z.B. Einfluss zu nehmen auf das, was sie aß.

Die Schwangerschaft lehnte Isa von Anfang an ab. Auf jeden Fall musste sie vor seiner Familie verheimlicht werden, denn nur so konnte Isa das von ihm in seiner Familie gepflegte Bild des gehorsamen Sohnes aufrechterhalten. Mit der Schwangerschaft sah er seine eigene Lebensplanung gefährdet.

Seine Drohungen wiederholte er auf Facebook: "Wenn Du das Kind bekommst, bin ich im Arsch.. Such dir einen anderen Samenspender... Verarsch mich nicht, geh abtreiben". Es war auch die Rede davon, dass Jolin sonst den Afghanen in ihm kennenlernen werde.

Trotz des Drucks wollte Jolin nach kurzer Bedenkzeit das Kind, freute sich sogar darauf.

Zum Tattag stellte das Gericht fest, dass Isa sich bis ca. 16:15 Uhr an der Fachhochschule in Rüsselsheim aufgehalten hat. Gegen 16:50 Uhr war er am Hauptbahnhof in Wiesbaden, ging dann zum Hähnchengrill zu seinem Vater, von dem er sich dann den PKW lieh. Im Fahrzeug hatte er Kleidung deponiert, die er zur Tatausführung nutzen wollte. Er parkte dann in einer Seitenstraße. Seine Absicht war es, Jolin beim Betreten des Hauses mit einem Messer zu töten, denn das Kind sollte auf keinen Fall auf die Welt kommen. Außerdem wollte er mit der Tat seine eigene Lebensplanung, insbesondere das Auslandssemester, absichern.

Als Jolin an der Bushaltestelle ausstieg, folge ihr Isa zum Haus. Jolin konnte ihn weder sehen (es war dunkel und er trug schwarze Sachen) und auch nicht hören, weil sie selber wegen des schlechten Wetters eine Kapuze auf dem Kopf hatte und außerdem über Kopfhörer Musik hörte.

Als Jolin das Haus betreten hatte, stach Isa ihr unvermittelt mit dem Messer in den Rücken. Jolin, die mit keinem Angriff rechnete, drehte sich um, schrie laut und beide fielen hin. Isa stach noch zweimal in die linke Flanke. Als er einen Schatten durch die Glastür sah, befürchtete er, entdeckt zu werden und floh. Eine Nachbarin rief um 18:36 Uhr den Notruf. Jolin konnte nicht mehr gerettet werden.

Isa floh zum Pkw, entsorgte die Tatwaffe in einer Mülltonne, zog dann im PKW die Oberbekleidung aus und entsorgte auch diese in einer Mülltonne. Danach begab er sich in die "Öffentlichkeit", um sich ein Alibi zu verschaffen. Die Bibliothek, die er zu erst ansteuerte, war allerdings geschlossen. Daher ging er zu Hugendubel, wo es Überwachungskameras gab, so dass er sicher sein konnte, irgendwann von diesen Kameras erfasst zu werden.

Auf dem Weg zu Hugendubel schickte er einem Freund noch eine SMS, die sich dieser Freund nicht erklären konnte. Von Hugendubel aus rief er noch eine Bekannte an, die über diesen Anruf ebenfalls erstaunt war. Mit dieser Kommunikation wollte Isa ganz offenkundig dokumentieren, dass er wieder online war, also das Mobiltelefon, das während der Tatzeit ausgeschaltet war, nun wieder in Betrieb war.

Isa selber hatte sich während der Hauptverhandlung nicht eingelassen. Allerdings hatte er bei seiner polizeilichen Vernehmung erklärt, dass er ab ca. 17:45 Uhr am Imbissstand des Vaters war. Er habe sich dann das Fahrzeug ausgeliehen, um zur Bibliothek zu fahren, habe dort länger nach einem Parkplatz suchen müssen und sei später zu Fuß zu Hugendubel gegangen, wo er angeblich bis 19:30 Uhr blieb, um anschließend mit dem Vater gemeinsam zur Wohnung zurückzufahren.

Diese Einlassung ist widerlegt:

Dabei bezog sich das Gericht ganz wesentlich auf die Aussage des Zeugen Dariush, der eindeutig über Täterwissen verfügt hat. Dieser hatte sich in der Haft mit Isa angefreundet. Isas ersten Beteuerungen, er habe mit dem Mord nichts zu tun, hatte Dariush keinen Glauben geschenkt, weil Isa so gar keine Emotionen an den Tag gelegt hatte und sehr locker mit den Geschehnissen umgegangen war. Isa habe dann Dariush alles erzählt und sich wohl erleichtert gezeigt, dass er jemandem sein Herz ausschütten konnte.

Dariush war entsetzt über die Tat und empfand ehrlichen Abscheu: Die Tötung einer schwangeren Frau hatte für ihn eine andere Qualität als Drogenhandel, auch in größerem Stil oder eine Körperverletzung.

Ob Dariush auch den Haftbefehl von Isa gesehen hat, spielt für die Kammer keine Rolle, denn die Aussage enthielt Informationen, die in keinem Haftbefehl auftauchten:

- die weitere Glasscheibe im Flur des Hauses

- die Abwehrverletzungen der Getöteten

- wie leicht die Stiche zu führen waren

Außerdem bestätigten auch die objektiven Befunde insbesondere der Mobilfunkdaten die Darstellungen von Dariush, die er drei Mal, zuletzt in der Hauptverhandlung, jeweils widerspruchsfrei wiedergegeben hatte.

Die Tat ist als Mord zu qualifizieren:

Isa hat heimtückisch gehandelt, weil Jolin nicht mit dem Angriff rechnete und arglos gewesen ist.

Außerdem ist als weiterer niederer Beweggrund zu würdigen, dass Isa seine Interessen, insbesondere seine gute Stellung innerhalb der Familie, über das Leben von Jolin stellte.

Die von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage geforderte besondere Schwere der Schuld verneinte das Gericht allerdings. Dies sei nur angebracht, wenn Umstände von besonderem Gewicht hinzukämen, das Tatbild also so von "üblichen" Mordfällen abweicht, dass es völlig unangemessen sei, wenn der Täter nach 15 Jahren aus der Haft entlassen würde.

Dagegen spricht in den Augen des Gerichts, dass es sich bei Isa um einen ungefestigten jungen Mann handelt, wofür sein Gehabe beispielsweise in der Beziehung zu Jolin spricht. Außerdem befand er sich aufgrund seines familiären und kulturellen Hintergrundes in einer besonderen Zwangssituation.

Jolins Eltern zeigten sich gerade über diesen letzten Satz genauso enttäuscht wie peri e.V.: Es soll gar nicht bestritten werden, dass es für einen jungen Mann, der in einem derartigen traditionell geprägten familiären Umfeld groß wird, nicht einfach ist, sein Leben zu leben. Trotzdem: Isa ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er hätte erkennen müssen und erkennen können, bei aller Tradition, die in seiner Familie gelebt wird, dass es falsch ist, einen Menschen um des eigenen Vorteils willen zu töten.

Diesen familiären Hintergrund als "Zwangssituation" entlastend einzubringen, hält peri e.V. schon deshalb für unangemessen, weil Isa an keinem einzigen Verhandlungstag auch nur ein Mal erkennen ließ, dass er die Tat bereut oder dass ihn der Tod von Jolin nebst seinem Kind belastet.

Isa hat also die Möglichkeit, nach 15 Jahren Haft entlassen zu werden. Familie S. wird ihr Leben lang mit dem Resultat der Tat leben müssen. Jolin bringt kein Urteil der Welt zurück.

Ob das Urteil Auswirkungen auf Menschen mit ähnlicher Einstellung wie Isa und seine Familie hat, muss bezweifelt werden.

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 24. März 2014
 

Kontakt für weitere Informationen:
Pressestelle peri e.V.
Bachgasse 44
D-69469 Weinheim
E-Mail: kontakt(at)peri-ev.de
Internet: www.peri-ev.de