Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Jolin S. / 10. Februar 2014

Die Hauptverhandlung wurde fortgesetzt mit der in einem früheren Termin unterbrochenen Vernehmung eines Kriminalbeamten, die insbesondere die Verteidigung gewünscht hatte. Der Beamte sollte dazu Stellung nehmen, warum Isa nach der ersten Vernehmung aus dem Gewahrsam entlassen wurde und was dann zu seiner späteren Verhaftung führte.

Der Polizist führte aus, dass eine Zeugin zunächst den früheren Freund von Jolin, Ramin, erkannt haben wollte, der daher der erste Verdächtige war. Nachdem Ramins Alibi (nämlich sein Zahnarztbesuch) sich bestätigte und zwischenzeitlich auch die Mobilfunkdaten ausgewertet worden waren, hatte sich der Verdacht gegen Isa gerichtet, der daraufhin auch festgenommen wurde.

Erneut sprach die Verteidigung die Überwachungsaufnahmen bei Hugendubel an und erneut wies der Beamte darauf hin, dass es allein in der Hand der dortigen Detektive läge, was aufgezeichnet wird. Die Verteidigung warf dem Polizisten vor, dass nicht gründlich genug ermittelt worden sei, weil einer der vernommenen Polizisten noch nicht einmal gewusst habe, wie viele Zugänge es zum Untergeschoss der Filiale Hugendubel gebe.

Auch die Frage, wie gründlich der Tatort nach Blutspritzern untersucht worden war, konnte der Beamte nur mit „sehr gründlich“ beantworten. Allerdings sei dies nicht seine Aufgabe gewesen, sondern die des Erkennungsdienstes..

Die Verteidigung sprach dann die Wegstrecke vom Tatort zur Filiale Hugendubel an. Sie hatte ja bereits einmal beantragt, ein Gutachten erstellen zu lassen, mit dem bewiesen werden sollte, dass die Strecke niemals in lediglich 15 Minuten zu schaffen sei.

Der Kriminalbeamte berichtete nun, dass er selber noch am Vormittag die Strecke (1.226 Meter) abgegangen sei. Mit eher gemächlichem Tempo und unter Beachtung aller Ampeln habe er 13 Minuten gebracht. Schnell laufend (und auf der Flucht) sei diese Strecke locker in 8 Minuten zu schaffen.

Die Verteidigung beantragte nunmehr erneut die Einholung eines Gutachtens durch einen Diplom-Ingenieur, der Unfallrekonstruktionen vornimmt und eine Weg-Zeit-Berechnung erstellen könne. Damit solle dann bewiesen werden, dass die Strecke vom Tatort bis zur Filiale Hugendubel nicht in 19 Minuten zu schaffen sei. Weder mit dem PKW, noch zu Fuß, noch mit dem Bus noch anderweitig, wenn es schneite und der Angeklagte darüber hinaus mehrere SMS geschrieben hatte sowie sich der Tatwaffe und der verschmutzten Bekleidung hätte entledigen müssen.

Die Nebenklagevertreterin wollte dann noch wissen, was die allgemeine Reaktion von Angehörigen ist, wenn sie von der Polizei erfahren, dass „etwas Schreckliches“ vorgefallen ist. Der Beamte erklärte, dass es eine sehr große Bandbreite an Reaktionen gibt, dass aber im Regelfall erst Entsetzen geäußert wird und das Ereignis negiert wird („das kann nicht sein“).

Im Anschluss wurde ein weiterer Kriminalbeamter gehört, der am Tatabend mit Isa telefoniert hatte. Isa hielt dies wohl für einen Scherz seiner Kommilitonen und er sei gar kein Polizist. Der Beamte verneinte dies und belehrte Isa als Beschuldigten, dass er sich nicht äußern müsse. Isa sei dann überrascht gewesen, wie man denn auf ihn komme. Man solle mal lieber Ramin beachten.

Die Beamten hätten Isa dann abgeholt und beschrieben die Atmosphäre während des Gesprächs als sachlich und nüchtern, ohne Emotionen. Nach Jolins Gesundheitszustand hatte sich Isa nicht erkundigt, nur gefragt, ob er sie im Krankenhaus besuchen könne. Der Zeuge selber wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, ob Jolin tot war.

Über die Vernehmung hatte der Zeuge mit einem Kriminalpsychologen gesprochen, der meinte, dass das Desinteresse für eine Täterschaft sprechen könne.

Die Vernehmung des Zeugen veranlasste die Verteidigung zwei weitere Beweisanträge zu stellen: Es solle noch ein Kriminalbeamter gehört werden, der aussagen werde, dass Isa sich kooperativ und aussagewillig gezeigt habe und nicht auffällig gewesen sei. Im Weiteren solle eine andere Zeugin gehört werden, mit der Isa diskutiert hatte, ob er zu Jolins Beerdigung gehen solle oder nicht. Auszugsweise wurde der Chat-Verkehr verlesen mit folgenden Äußerungen von Isa:

„Das ist alles zu viel für mich. Ich melde mich, wenn es wieder geht. Ich weiß selber nur, was in den Zeitungen steht, die schreiben nur Scheiße, das sind alles dumme Menschen mit Vorurteilen. Ich gucke Videos, das tut gut, dann weiß ich, dass es Jolin gut geht, dass sie im Himmel ist. Ich kann nicht raus, bis sich die Lage beruhigt hat.“

Die Verteidigung ist der Auffassung, dass die Korrespondenz nicht in dieser Weise erfolgt wäre, wenn Isa der Täter wäre.

Danach wurde das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen verlesen, mit dem geklärt werden sollte, ob Isa schuldfähig ist.

Isa hat sich nicht persönlich untersuchen lassen, das Gutachten musste auf der Basis der Akten und der Erkenntnisse der Hauptverhandlung erstellt werden.

Zur Biographie gibt es wenige Angaben: Die Eltern kommen aus Afghanistan, Isa ist in Kassel geboren und hat 2 ältere Brüder und eine jüngere Schwester. Die Familie ist muslimischen Glaubens (Schiiten), wobei Isa sich offenbar weniger streng an die Regeln hält als der Rest der Familie (er trinkt Alkohol und hat vorehelichen Sex, was lt. Isas Vater eine schwere Sünde ist). Als Ehepartner für die Kinder käme nur eine Afghanin in Frage: Bei der Hochzeit des Bruders, der eine Marokkanerin geheiratet hatte, war der Vater nicht anwesend – verstoßen wurde der Sohn allerdings nicht.

Isa sei sehr in Jolin verliebt gewesen, was umgekehrt eher nicht der Fall war. Jolin habe auch nicht gern Sex mit Isa gehabt, weil dieser ihr zu grob war.

Isa sei eine sehr stark kontrollierende Person.

Bei ihm sei eine leichte Anpassungsstörung zu diagnostizieren, die allerdings keinen ernstlichen Krankheitswert habe. Es lägen auch keine Depressionen vor, allenfalls leichte depressive Verstimmungen, wobei Isa nicht durch das Ableben der Ex-Freundin beeinträchtigt war, sondern er machte sich Sorgen um sein Studium und um seine Familie.

Eine Persönlichkeitsstörung sei schwierig zu diagnostizieren, wenn man keine Kenntnisse über die persönliche Vergangenheit hat. Allerdings spräche bei Isa nichts dafür.
Er sei dominant und kontrollierend, aufbrausend, beruhige sich aber schnell wieder. Er habe allerdings eine negative Einstellung gegenüber Frauen, insbesondere nicht-muslimischen Frauen.

Ansonsten habe er keine grundsätzlichen Probleme bei zwischenmenschlichen Kontakten, seine Beziehung zu den Kommilitonen sei intakt.

Er sei während der Hauptverhandlung ausgesprochen kontrolliert gewesen. Eine schwere seelische Abartigkeit sei nicht erkennbar.

Es habe sich auch nicht um eine Affekttat gehandelt. Der Ablauf der Tat gebe dafür keinen Hinweis.

Zu den psycho-dynamischen Hintergründen der Tat führte die Sachverständige aus, dass es sich um eine komplizierte Beziehung gehandelt habe, in der zwei schwierige Charaktere aufeinandergetroffen seien.

Isa hatte immer auf seine Eltern gehört, er war sehr angepasst und hatte sich als „Lieblingssohn“ gesehen.

Jolin habe unter Stimmungsschwankungen gelitten. Die bei ihr diagnostiziere Borderline-Störung hätte sie aufgrund der Behandlung im Griff gehabt und sei stabil gewesen.

Die Beziehung der beiden sei ausgesprochen instabil gewesen.

Isa hätte wenig Einfluss auf Jolin gehabt, die viele Freundinnen hatte. Diese Welt sei Isa verschlossen geblieben. Jolin sei innerlich unabhängig geblieben und habe Isa keinen Zutritt in ihr Leben gelassen. Jolin sei eine starke Persönlichkeit gewesen.

Isa sei gegenüber seinem Vat besonders angepasst. Auch deshalb habe er die Beziehung zu Jolin verheimlicht. Isa habe große Angst vor der Situation gehabt und insbesondere befürchtet, sein positives Image in der Familie zu verlieren.

Letztendlich sei der Tathintergrund wohl die Angst vor dem Gesichtsverlust in der Familie gewesen.

Anschließend stellte die Verteidigung weitere Beweisanträge:

Die Uhr bei Hugendubel sei nicht 22, sondern nur 14 Minuten nachgegangen.
Der Einsatz der Blutspürhunde sei negativ verlaufen.
Es sollten sämtliche SMS verlesen und sämtliche abgehörten Telefonate vorgespielt werden.

Und zu guter Letzt wollte die Verteidigung ein bestimmtes Fahrzeug einer Zeugin vorführen, die von einem Fahrzeug am Tatort gesprochen hatte (dieses Fahrzeug hatte die Polizei dem Besucher eines Nachbarn zugeordnet): Dem Verteidiger sei ein anonymer Hinweis auf ein bestimmtes Kennzeichen zugegangen, das diesem Fahrzeug zugeordnet werden könne. Es sei nicht auszuschließen, dass es sich hier um ein Fahrzeug gehandelt habe, mit dem der Täter zum Tatort gebracht worden sei und dann auch wieder wegfuhr. Die Polizei hätte sich geweigert, dieser Spur nachzugehen, sodass nun dieser förmliche Beweisantrag folgen müsse.

Das Verfahren wird am 24.2.14 um 9 Uhr fortgesetzt, möglicherweise mit weiterer Beweisaufnahme, möglicherweise aber auch mit den Plädoyers.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 10.02.2014
 

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