Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Jolin S. / 8. Oktober 2013

Am 8. Oktober 2013 begann in Wiesbaden der Prozess wegen des Mordes an Jolin S. Bei dem Angeklagten handelt es sich um Isa Sh., einem 23-jährigen in Kassel geborenen Studenten afghanischer Herkunft. Die Eltern der getöteten 22-jährigen Jolin treten als Nebenkläger auf.

Die Verhandlung begann nach Erledigung einiger juristischer Formalitäten mit der Verlesung der Anklageschrift, die sich wie folgt zusammenfassen lässt:

Der Angeklagte stammt aus einer den Werten der afghanischen  Heimat eng verbundenen Familie. Dem Vater war es z.B. wichtig, dass sein (erwachsener) Sohn nicht auswärts übernachte, woran dieser sich hielt, weil es ihm wichtig war, dass seine Eltern ihn für einen gehorsamen Sohn hielten.

Jolin lernte er in dem Café, in dem sie arbeitete, kennen und seit Anfang Dezember 2011 waren sie ein Paar.

Isa war Kontrollsüchtig

Die Beziehung war nicht unproblematisch. Der Angeklagte hatte mit Jolin zunächst ein kurzes sexuelles Verhältnis pflegen wollen, hatte dann aber tiefere Gefühle für sie entwickelt, was dann u.a. dazu führte, dass er damit begann, sie zu kontrollieren. Dieses Kontrollverhalten führte zu Problemen, weil Jolin davon ausgegangen war, dass es sich ohnehin nur um eine vorübergehende Liaison handelte.

Im Oktober/November 2012 kam es dann zu einer vorübergehenden Trennung. Jolin nahm zu der Zeit wieder Kontakt zu ihrem früheren Freund (ebenfalls afghanischstämmig) auf, der für sie offenbar die große Liebe gewesen war und mit dem sie zuvor eine dreijährige Beziehung führte.

Mitte Dezember wurde dann bei Jolin die Schwangerschaft festgestellt, wobei sich Jolin von Anbeginn an sicher war, dass der Isa der Vater war. Dies bestätigte im Nachhinein auch die Gen-Analyse.

Der Angeklagte hat Angst von seiner Familie ausgestoßen zu werden

Der Angeklagte wollte auf keinen Fall, dass Jolin das Kind bekam. Er hatte die Beziehung vor der Familie geheimgehalten, da ihm bewusst war, dass seine Eltern ihre Ehre verlieren würden, wenn er eine schwangere Freundin hätte, die nicht aus Afghanistan kommt. Der Angeklagte ging davon aus, dass er in diesem Fall von seiner Familie verstoßen würde. Diese waren schon mit der Verbindung des älteren Bruders zu einer marokkanischen Muslima nicht einverstanden.

Der Angeklagte selber teilte Jolins Ex-Freund mit, seine Familie werde ihn umbringen. In der Folgezeit forderte er Jolin immer drängender auf, eine Abtreibung vorzunehmen.  Jolin weigerte sich und teilte dem Angeklagten mit, sie wolle das Kind allein großziehen. Dies stellte für den Angeklagten eine weitere Demütigung dar: er sollte nun noch nicht einmal mehr Einfluss auf die Erziehung haben, denn das Kind sollte möglicherweise christlich großgezogen werden.

Der Angeklagte fasste daher scheinbar den Entschluss, Jolin und das ungeborene Baby zu töten. Am 5. Februar 2013 lauerte er ihr auf und tötete sie dann mit mehreren Messerstichen.

Der Angeklagte hörte der Verlesung der Akte mit ungerührter Miene zu

Im weiteren Verlauf wurde ein Kriminalbeamter gehört, der die Ergebnisse der Ermittlungen zusammenfasste. Er sagte aus, dass er noch am Tatabend den Angeklagten bei seiner Familie aufgesucht habe und ihm dort mitteilte, dass Jolin tot sei und den Angeklagten mitnehmen müssen. Laut dem Beamten habe Isa dies ungerührt zur Kenntnis genommen und im Weggehen seinen Eltern nur gesagt, er hätte ihnen schon noch von seiner Freundschaft zu Jolin erzählt, habe aber erst einmal die Klausuren abwarten wollen. Irgendeine Frage zu der Tötung habe der Angeklagte nicht gestellt, was den Ermittlern schon ungewöhnlich vorgekommen sei.

Auch der Ex-Freund der Getöteten wurde vernommen. Dieser, den Jolin als ihre große Liebe beschrieben hatte, berichtete, dass er sich in Jolins Familie aufgenommen fühlte und dass auch seine eigene Familie Jolin gern hatte. Auf den Vorhalt, dass er in der Zeit der vorübergehenden Trennung doch auch mit Jolin intim gewesen sei, gab der Zeuge zu Protokoll, dass habe er nur behauptet, auch, um den Angeklagten Isa zu ärgern.

Ein Mithäftling belastet Isa schwer

Einer der wichtigsten Zeugen im Prozess ist ein Mit-Insasse des Angeklagten aus dem Gefängnis in Frankfurt. Dieser hatte bereits in seinem eigenen Strafverfahren und auch bei der Polizei umfangreich über seine Gespräche mit dem Angeklagten berichtet, der ihm gegenüber die Tat gestanden habe. Seine Aussage wiederholte dieser Zeuge auch in der jetzigen Hauptverhandlung.

Der Isa habe ihm gesagt, er sei in Haft, weil man ihm vorwerfe, seine Freundin getötet zu haben. Bei dieser Äußerung sei der Angeklagte völlig ungerührt geblieben, was den Zeugen erheblich irritiert hätte: „Wenn meine Freundin so umgekommen wäre, hätte ich nicht so ungerührt darüber reden können.“

Irgendwann habe er dann Isa dazu aufgefordert die Wahrheit zu sagen, sonst wolle er nichts mehr mit ihm zu tun haben. Der Angeklagte habe ihm gegenüber dann die Tat gestanden und ihm auch detailliert beschrieben, wie alles passierte. Isa hätte die Tat schon länger geplant gehabt und habe Jolin dann im Hausflur aufgelauert. Erst habe er das Messer ihr von hinten in die Schulter gerammt, dann seien beide hingefallen. Jolin habe geschrieen, deshalb habe er noch zweimal von vorne in die Brust gestochen. Das Messer sei wie Butter in den Körper eingedrungen. Als er im Flur einen Schatten sah, sei er weggelaufen und das Messer sowie die Tatkleidung entsorgt. Um sich ein Alibi zu verschaffen, sei er dann in die Buchhandlung Hugendubel gegangen, um sich dort von Überwachungskamera filmen zu lassen. Die Polizei werde ihm niemals etwas nachweisen können. Allerdings stellte sich heraus, dass die Aufzeichnung eine Verzögerung von 18 Minuten hatte und wich von der Echtzeit ab.

Dem Zeugen war immer noch sein Erstaunen und Erschrecken darüber anzumerken, wie emotionslos und kalt der Angeklagte ihm das alles berichtet hatte.

Das Verfahren wird am 21. Oktober 2013 fortgesetzt

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 8.10.2013
 

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