Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Jolin S. / 24. Februar 2014

Der heutige Verhandlungstag begann mit der Vernehmung des Kriminalbeamten, der seinerzeit die Erstvernehmung von Isa durchführte. Er beschrieb, dass Isa, der kurz nach der Tat festgenommen und dann von ihm vernommen wurde, ihm glaubwürdig erschien. Die Vernehmung habe 3 Stunden gedauert und er habe sich von Isa seinen Tagesablauf genau schildern lassen. Isa habe überlegt geantwortet und seine Angaben seien überlegt formuliert, jedenfalls nicht "einstudiert" erschienen. Isa sei "angemessen bedrückt" erschienen. Das Ergebnis der weiteren Ermittlungen, die er urlaubsbedingt anfangs nicht verfolgen konnte, hätte ihn dann schon erstaunt. Insofern würde er rückblickend Isas Aussageverhalten als kühl und berechnend bezeichnen.

Das Gericht verlas sodann einen Vermerk, den einer der Polizisten betreffend der Videoüberwachung bei Hugendubel notierte: Die Videoaufzeichnungen werden dort einen Monat aufbewahrt. Neben den von den Detektiven gefertigten Videos gebe es daher heute keine weiteren Aufzeichnungen mehr.

Anschließend wurden die Beschlüsse zu den zahlreichen Anträgen der Verteidigung verlesen: Sämtliche weiteren Anträge wurden abgelehnt.

- Die Videoaufzeichnung gibt es nicht mehr.

- Die Frage, ob die Strecke vom Tatort bis zur Filiale in der angegebenen Zeit zurückgelegt werden könne, könne das Gericht aus eigener Sachkunde bearbeiten, dazu bedürfe es keines Sachverständigengutachtens.

- Eine erneute Vernehmung eines Zeugens wegen der Videoanlage sei unzulässig, weil dieser schon ausgesagt habe.

- Zum Hundeeinsatz brauche deshalb nichts mehr gesagt zu werden, weil nicht feststehe, dass der Täter Blut oder Körperteile im Tatortbereich verloren habe,
- die Vernehmung bezüglich des PKWs, den eine Nachbarin gesehen haben will, sei ohne Bedeutung.

- Ein Anspruch auf Überlassung der vollständigen Ermittlungsakte an die Verteidiger bestehe nicht. Diese habe Kopien erhalten (dies bezog sich auf die Telekommunikationsüberwachung).

Daraufhin kam der Verteidigung die Idee, sämtliche Unterlagen aller Ordnungswidrigkeitsverfahren in der fraglichen Zeit ausgehändigt zu bekommen, da das Gericht sich ja weigere, Näheres zu dem PKW, der in der 2. Reihe geparkt hatte, ermitteln zu lassen.

Auch dieser Antrag wurde zurückgewiesen mit der sehr nachvollziehbaren Begründung, das ein PKW, der in 2. Reihe parkt, noch lange keine Tatbeteiligung impliziert.

Die Verteidigung stellte den weiteren Antrag, dass ihr die Möglichkeit gegeben wird, außerhalb der Hauptverhandlung sich die Original-Telekommunikationsaufzeichnungen anzuhören (es handelt sich dabei wohl u.a. um die Überwachung von Gesprächen, die Isa in der JVA mit Besuchern führte).

Der im Zuschauerraum anwesende Polizeibeamte erklärte, dass die Aufnahmen so schlecht seien, dass nichts zu verstehen sei. Im Übrigen liege bei der Polizei noch eine Kopie der Mitschnitte, die der Verteidiger bislang noch nicht abgeholt habe. Eine Verschriftung sei jedenfalls nicht möglich.

Das Gericht räumte nun der Verteidigung die Möglichkeit ein, auf der Geschäftsstelle der Kammer schon einmal die dortigen Mitschnitte sich anzuhören und zu prüfen, ob sich für die Verteidigung durch die Abhörung neue Aspekte ergäben.

Daraufhin erwiderte einer der Verteidiger, dass er 3-stündige Pause für angemessen halte, weil er ja auch noch eine Mittagspause von einer Stunde machen wolle. Das Gericht lehnte dieses Ansinnen zunächst ab: Man wolle in 2 Stunden fortfahren.

Der weitere Verhandlungstermin kann nur sehr schwer beschrieben werden, da sich die Verteidiger einen Spaß daraus zu machen schienen, immer wieder neue Anträge zu stellen, die entweder in dieser Form bereits gestellt und beschieden worden waren (im Regelfall abschlägig) oder eindeutig unsinnig waren. Welche Strategie die Verteidigung damit fährt, erschließt sich nicht. Für den Angeklagten bringt die Verzögerungstaktik letztlich überhaupt nichts: Er ist im Gefängnis und bleibt da jedenfalls bis zum Ende der Hauptverhandlung, sollte nicht plötzlich ein geständiger Täter in den Gerichtssaal rauschen.

Zunächst erfolgte ein völlig absurder Beweisantrag, nachdem die Verteidigung sich Teile der Audio-Mitschnitte angehört hatte: Die Mitschnitte seien zu verschriftlichen und einzuführen, um den Beweis zu erbringen, dass sie keinerlei tatrelevanten Erkenntnisse enthielten. Anderes hatte bis dato auch kein Verfahrensbeteiligter, schon gar nicht die Staatsanwaltschaft behauptet. Die Verteidigung möchte also den Beweis für eine Tatsache erbringen, die ja anders auch von niemandem eingeführt wurde. Der Antrag wurde -nach einer angemessenen Pause- abgelehnt, weil die Tatsache (dass kein relevantes Material auf den Mitschnitten vorhanden ist) als wahr unterstellt werden kann.

Nun stellte die Verteidigung mal wieder einen Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter: Dieser habe der Verteidigung ein zu enges Zeitfenster zur Anhörung der Kassetten gewährt.

Wieder eine Stunde Pause, weil ja auch ein derartiger Antrag beschieden werden muss, auch wenn die Verteidigung ja letztlich selber erklärte, dass sich aus den Audio-Aufnahmen nichts ergibt - ob sie nun noch 2 weitere Stunden auf der Geschäftsstelle sich die schwer (wegen Qualität) oder gar nicht (wegen fremdsprachig) verständlichen Gespräche angehört hätte, hätte ja nun keinen Unterschied gemacht.

Der Antrag wurde abgelehnt, was prompt zu einem weiteren Befangenheitsantrag führte, weil die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden falsch sei. Erneute Pause, erneute Ablehnung.

Sollte man nun der Hoffnung erlegen sein, das Verfahren könne mit einem Ende der Beweisaufnahme zu den Plädoyers führen, man sah sich getäuscht: Die Verteidigung hatte erneut weitere Beweisanträge, denen unbedingt nachgegangen werden müsse:

- Erneut war mal wieder die Frage der Wegstrecke und der benötigten Zeit: Beweismittel sollte doch bitte das Internet und dort der Michelin Routenplaner sein.

- Ferne sollten noch einmal die bereits eingeführten Video-Aufzeichnungen der Filiale Hugendubel angesehen werden, damit ein Sachverständiger feststellen möge, dass die Bekleidung des Angeklagten nicht darauf schließen ließe, dass er durch Schnee gegangen sei.

- Ein weiteres psychologisches Gutachten wurde gefordert, mit dem bewiesen werden sollte, dass es völlig unwahrscheinlich sei, dass ein Mensch, der eine Tat angeblich kühl bis ins letzte Detail geplant hatte, sich in U-Haft unmittelbar einem völlig Fremden anvertraut.

Wieder Pause, wieder wurden die Anträge abgelehnt:

- Die Auskünfte einer Internetplattform (Via Michelin) seien keine geeigneten Beweismittel nach der Strafprozessordnung. Außerdem habe bereits ein Mensch die Strecke und den Zeitraum, innerhalb der sie zurückgelegt werden kann, beschrieben.

 - Bezüglich der Videoaufzeichnung sei diese bereits eingeführt und könne von der Kammer gewürdigt werden.

- Auch im Hinblick auf das gewünschte psychologische Gutachten verfüge die Kammer über hinreichend eigene Sachkunde.

Aber das war noch nicht alles, was die Verteidigung so vorbereitet hatte, um zu verhindern, dass die Beweisaufnahme endlich geschlossen wird:

Mit dem nächsten Beweisantrag wurde der Spürhund thematisiert, der eine andere Strecke gegangen sei als die nach den Daten der Funkmasten zu erwartende.

Erneute Pause, erneute Beratung, erneute Zurückweisung des Beweisantrages mit der Begründung, dass der Angeklagte ja nun nach dem Tattag noch mehrfach die Strecke abgehen konnte, weil er ja nicht unmittelbar in Haft gekommen war.

Das Gericht gab nun dem Verteidiger, der noch einen Stapel Papier vor sich liegen hatte und offenbar beabsichtigte, diesen sukzessiv zur Verzögerung des Verfahrens einzubringen, auf, sämtliche Beweisanträge nun innerhalb der nächsten 10 Minuten zu stellen.

Helle Empörung bei den Verteidigern und der wiederholte Vorwurf eines unfairen Verfahrens waren die Folge. Den wahrscheinlich von der Mehrzahl der Zuschauer erwarteten Befangenheitsantrag sparte man sich dann doch.

Tatsächlich wurden noch zwei weitere Beweisanträge gestellt:

Es sollte zum Beweis für die Tatsache, dass sich Jolin am Tattag an einer anderen Haltestelle mit einem anderen Mann, vermutlich Ramin, getroffen habe, eine Zeugin gehört werden.

Dieser Beweisantrag wurde zurückgewiesen, weil die Zeugin schon bei ihrer polizeilichen Vernehmung nur schwache Erinnerungen hatte und diese Erinnerungen mit dem Zeitablauf von mehr als einem Jahr wohl nicht besser geworden sein dürfte.

Mit dem weiteren Beweisantrag meinte die Verteidigung dann wahrscheinlich, den Knüller gelandet zu haben:

Der Kronzeuge Dariush habe einem anderen Häftling gestanden, dass er sich alles nur anhand des Haftbefehls von Isa und eines Verteidigerschreibens ausgedacht habe.

Als Zuschauer war man erstaunt: Das Gericht wahrte die Contenance und fragte nach, auf welches Anwaltsschreiben sich der Zeuge denn bezogen habe, dass er alles so detailliert hätte beschreiben können. Antwort der Verteidiger: "Das weiß ich nicht, da muss ich zu Hause in meiner Handakte nachgucken."

Das Gericht zog sich wieder zur Beratung zurück und fragte dann nach Rückkehr, wann der Angeklagte denn diese Erkenntnisse erlangt habe. "So im Januar, Ende Januar". Der Vorsitzende: "Kann ich den Brief sehen?" Isa: "Den habe ich nicht hier".

Man muss sich das Mal auf der Zunge zergehen lassen:

Da gibt es angeblich einen Brief, mit dem ein -im übrigen bereits vernommener Zeuge- dem Angeklagten mitteilt, dass der "Kronzeuge" der Staatsanwaltschaft ihm erklärt hat, dass er sich alles ausgedacht habe. Und dieses Schreiben bringt der Angeklagte nicht nur nicht mit, gibt es auch nicht seinem Verteidiger, nein, er erwähnt es auch erst am 3. Verhandlungstag, nachdem er angeblich davon Kenntnis erlangt hat.

Das mag verstehen wer will - die Zuschauer waren fassungslos.

Aber damit war noch nicht das Ende der Antragsflut erreicht:

Ein Sachverständiger der Zahnmedizin soll bestätigen, dass die Röntgenbilder des "angeblichen" Patienten Ramin nicht das gleiche Gebiss zeigen wie die Röntgenbilder des alten Zahnarztes, bei dem Ramin Patient war.

Ein anderer Sachverständiger soll bestätigen, dass das Mobiltelefon der Polizistin, das in der Filiale Hugendubel zum Beweis, dass die Uhrzeit von der Systemzeit um mehr als 20 Minuten abwich, nicht über GPS verfügt.

Und ein weiterer Sachverständiger solle bestätigen, dass es durchaus üblich ist, dass Mobiltelefone falsche Uhrzeiten anzeigen. Zum Beweis zitierte der Verteidiger dann zur Erheiterung oder zum Entsetzen der Zuschauer aus diversen Foren, in denen sich z. B. eine Nutzerin namens "Mary-Lou" beklagte, dass ihr Handy immer die falsche Zeit anzeige.

Der heutige Termin endete um 19 Uhr. Es ist dem Gericht nicht gelungen, die Beweisaufnahme abzuschließen. Dies mag die Verteidigung als "Erfolg" werten, und es ist zu befürchten, dass der zweite Verteidiger sich am nächsten Termin in ähnlicher Weise hervortut. Auch das gehört allerdings zu einem rechtsstaatlichen Verfahren: Anträge, und seien sie noch so unsinnig, müssen angehört werden und beschieden werden.

Wie gesagt: Es erschließt sich nicht, welche Strategie die Verteidiger verfolgen oder ob sie überhaupt eine Strategie verfolgen. Isa scherzte heute jedenfalls gut gelaunt mit seinen beiden Verteidigern, so dass davon auszugehen ist, dass diese ihn auf einen Freispruch und eine baldige Entlassung aus der Haft vorbereitet haben.  Wie sie das mit ihrer Verzögerungstaktik erreichen wollen, bleibt unklar.

 

Das Verfahren wird am 10.3.2014 um 9 Uhr fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 24.02.2014
 

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