Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Prozess im Fall Ramia / 26 September 2016

1. Das Urteil

 

MOSTAFA wurde wegen Totschlags, Abtreibung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt, MOHAMMAD wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung.

 

Bevor der Vorsitzende in die Urteilsbegründung einstieg, schickte er einige Worte auch an die Angehörigen, die im Zuschauerraum saßen, voraus.

 

 

2. „So kann Integration nicht funktionieren“

 

Auch wenn die Tat kein „Ehrenmord“ im eigentlichen Sinne war, so macht die Tat einen doch betroffen, weil sie einen gewissen gesellschaftlichen Wandel zeigt. Beide Brüder begehen eine schwere Straftat; sie werden zur Schlichtung eines banalen Ehestreits  gerufen, und dann prügelt MOSTAFA und sticht auf RAMIA ein, während MOHAMMAD ihn stechen lässt und AYMAN verfolgt. Dies geschieht dann vor der Wohnung im 3. Stock, deren Bewohner währenddessen spielen oder schlafen, wie sie behauptet haben.

 

Nach der Tat flüchten die Brüder; sie begeben sich zu einem anderen Syrer, trinken dort noch einen Kaffee, werden dann mit Vermittlung eines weiteren Syrers bis nach Trier gefahren, wo ihnen von einem anderen Syrer auch noch ordentlich Geld in die Hand gedrückt wird für eine mögliche Flucht.

 

Keiner kommt auf die Idee, die Polizei zu rufen und sich in die Hände der deutschen Justiz zu begeben.


Während des Verfahrens hatte man an keiner Stelle den Eindruck, irgendjemand hätte auch mal das Opfer im Blick gehabt. Soweit Verwandte als Zeugen hätten Klarheit bringen können, flüchteten sie sich in ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

 

Auch Anteilnahme und Empathie sind Gegenstand der Integration. Hier erlebten wir aber die Abkehr von allem, was wir als Gesellschaft sind – so kann Integration nicht funktionieren.

 

3. Die Urteilbegründung

 

Zur eigentlichen Begründung:

 

Eine Verurteilung wegen Mordes benötigt ein Mordmerkmal, als das hier die Ehre als niedriger Beweggrund im Raume steht. Dieser niedrige Beweggrund muss „besonders verachtenswert“ sein. Man hätte sich hier im Grenzbereich bewegt, und das Gericht hätte zu Gunsten des Täters entschieden, dass kein Mord vorliegt. Berücksichtigt worden sei, dass MOSTAFA durchaus versucht hatte, nach seiner Flucht in Deutschland Fuß zu fassen. Er hatte Deutsch gelernt, einen Arbeitsplatz gefunden, und zu RAMIA hatte er nach deren Ankunft in Deutschland offenbar ein gutes Verhältnis.

 

Problematisch war, dass RAMIA möglicherweise einen Freund in Ägypten hatte und dass sie sich hier in Deutschland möglicherweise einem anderen zugewandt hatte. Fest steht jedoch nur, dass die Ehe von AYMAN und RAMIA am Ende ist.  Diese Situation ist für MOSTAFA schwierig, sieht er sich doch wie ein Vater für RAMIA verantwortlich.

 

Die Situation war schon am 7.1.2016 aufgeladen; nach einem ersten Streit ging man zur Schwester und kam zurück mit dem Ansinnen, RAMIA dort rauszuholen. Zu beachten sei hier, dass beide Brüder unbewaffnet zu RAMIA gekommen sind. Jedenfalls entwickelte sich die Sache dann anders als gedacht; RAMIA dachte gar nicht daran, die Wohnung zu verlassen. Dann wurde mal wieder von den ominösen Fotos gesprochen, die niemand gesehen hat; jedenfalls eskalierte die Situation und MOSTAFA zog zunächst RAMIA und AYMAN mit dem Spiegel eine über den Kopf.  RAMIA und AYMAN versuchten dann zu fliehen; in der Zeit holte MOSTAFA ein Messer aus der Küche.

 

Die Tat könne noch als erklärlich erscheinen: es gab eine längere, auch körperliche Auseinandersetzung und AYMAN hatte wohl auch wieder provoziert. Auch wenn die „Ehre“ irgendwie eine Rolle spielte, ist nach Auffassung des Gerichts das Tatbestandsmerkmal des niedrigen Beweggrundes nicht erfüllt.

 

Die Überlegung war dann, ob für den Totschlag die lebenslängliche Freiheitsstrafe verhängt werden müsste. Das Gericht hat davon abgesehen, weil  es einen schuldmindernden Moment sah:
Es gab eine konfliktbeladene Situation, man steigerte sich in Emotionen hinein, es gab weder eine Vorplanung noch eine Absicherung und MOSTAFA war offenkundig hochgradig erregt, was einer gefühlskalten Gesinnung widerspricht.

 

Beim Strafrahmen hat das Gericht eine gewisse Hilflosigkeit bei MOSTAFA berücksichtigt sowie die Provokationen durch AYMAN. Berücksichtigt wurde auch, dass er sich geständig zeigte und ernsthaft betroffen wirkte.  Außerdem liegt er altersmäßig knapp über der Grenze zum „Heranwachsenden“ und war sicher auch durch die Verhältnisse in seiner Heimat geprägt. Da andererseits aber fast ein Mordmerkmal erfüllt ist, kann die Strafe nicht im unteren Bereich liegen.

 

Zu MOHAMMAD schickte das Gericht voraus, dass es davon ausgeht, dass dieser wesentlich tiefer in der Sache drin stecke, als dies bewiesen werden konnte, aber die Aussagen von AYMAN und MOSTAFA sowie die Spurenlage musste zu seinen Gunsten gewertet werden. Bei ihm bleibt nur die Körperverletzung zu bestrafen. Gleichwohl geht die Kammer von einer zumindest psychischen Unterstützung der Tat aus. Mit seinem Verhalten hat MOHAMMAD das Tatgeschehen mit befeuert.

 

Die Strafe wird für einen Zeitraum von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt, außerdem muss MOHAMMAD 200 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten.

 

Eigene Anmerkung:

 

Das Urteil kann in meinen Augen als angemessen bezeichnet werden. Zu wünschen bleibt, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Nachbarn in Gang setzt, die Augen und Ohren verschlossen, als RAMIA vor ihrer Tür getötet wurde, die sogar die Hilfesuchenden der Tür verwiesen. Auch wenn  diese Nachbarn möglicherweise aufgrund des eigenen kulturellen Hintergrundes der Auffassung waren, eine solche Streitigkeit sei eine Familienangelegenheit, kann es von unserer Rechtsordnung nicht gutgeheißen werden, wenn notwendige Hilfe versagt wird.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Hanau, 26.09.2016
 
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