Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum ersten Prozesstag gegen Fendi Özmen / 28. Januar 2013

Am 28.01.13 begann der Prozess gegen den Vater von Arzu Özmen, Fendi Özmen. Im Vergleich zum Prozess gegen die fünf Özmen-Geschwister hielt sich das Publikumsinteresse in Grenzen, dafür waren Medien und Presse stark vertreten.

Die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft

Fendi Özmen bekam einen Dolmetscher für die kurdische Sprache zur Seite gestellt. Die Anklage umfasst zwei Punkte: zum einen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung zulasten von Arzu, zum anderen die Anstiftung, ggfs. auch Beihilfe zur Entführung und Tötung von Arzu.
Die Anklage beschreibt die Taten wie folgt: Arzu wurde wiederholt geschlagen, sowohl vom Vater als auch von Osman, damit sie ihr Handy und die Zugangsdaten zu ihrem Internet-Account herausgab. Weiterhin wurde sie im Haus festgehalten und gezwungen ihre Arbeitsstelle bei der Bäckerei aufzugeben. Nachdem Arzu die Flucht gelungen war und sie die Anzeige gegen Vater und Bruder bei der Polizei erstattet hatte, habe der Vater beschlossen, da alle anderen Maßnahmen nicht geholfen hatten, Arzu zu töten, um seinen Ehrverlust wettzumachen. Am 31.10.11 habe er diesen Beschluss verkündet.

Über seinen Verteidiger gab der Angeklagte eine Erklärung zum 1. Anklagepunkt, der Körperverletzung, ab: Im Sommer 2011 sei der Verdacht entstanden, dass Arzu eine Beziehung zu einem Nicht-Jesiden unterhielt. Er, der Vater, habe dieses Verhalten nicht verstanden, denn eine solche Beziehung widerspräche den Wertvorstellungen der Familie. Er sei aufgebracht gewesen, weil Arzu ihm nicht gehorchen wollte. Er habe Arzu geschlagen, weil diese respektlos aufgetreten sei. Deshalb habe er Arzu auch wiederholt mit einem Stock geschlagen.

Der Angeklagte erklärte, er wisse, dass sein Verhalten nicht richtig war, und es täte ihm leid. Mit der Tötung von Arzu habe er jedoch nichts zu tun. Arzu sei von ihrer Familie ausgeschlossen worden, mehr sei nicht geschehen.

Fendi Özmens "Sorgen" um Arzu

Es wurde dann ein Brief verlesen, der von den Eltern an die Kreispolizeibehörde geschickt wurde, nachdem Arzu die Anzeige erstattet hatte. Inhaltlich führten die Eltern aus, dass sie an ihre Kinder Erwartungen stellten, nämlich u.a. älteren Menschen Respekt zu erweisen und nicht zu lügen. Fendi Özmen habe bei seiner Durchsuchung von Arzus Zimmer einen Brief der Schule gefunden, in dem stand, dass ihre Leistungen nicht ausreichten; diesen Brief habe Arzu abgefangen. Der Vater schilderte in dem Schreiben, dass er da nicht mehr gewusst habe, was er tat – er könne sich nicht mehr daran erinnern. Der Brief endete mit dem Satz: „Bitte helfen Sie mir, meine Tochter zu treffen.“

Familienmitglieder verweigern die Aussage

Um festzustellen, welche Zeugen aus der Familie überhaupt ein Zeugnisverweigerungsrecht haben könnten, wurde der Angeklagte gefragt, wie viele Geschwister er habe. Es gab zu Protokoll, dass er zwei Schwestern und drei Brüder habe. Viele Zeugen beriefen sich auf ein Aussageverweigerungsrecht, weil es sich angeblich bei Fendi Özmen um den Onkel handelte. Tatsächlich sei es aber wohl nur der Nenn-Onkel. Um diese Verhältnisse deutlich zu klären, fertigte das Gericht ein Schaubild an, das den weitverzweigten Özmen-Clan beschreibt.

Die Zeugenvernehmung

Die meisten Zeugen waren bereits im Verfahren gegen die Geschwister gehört worden, so auch die erste Zeugin, eine Freundin von Arzu. Diese berichtete von dem Tag, als Arzu von zu Hause geflüchtet war. Sie stand morgens bei ihr vor der Tür, weinte und sagte, sie sei gefesselt gewesen, habe sich befreien können und müsse unbedingt zur Polizei. Die Zeugin habe gesehen, dass Arzus Körper grün und blau geschlagen war. Sie ist mit ihr dann zur Polizei gegangen, wo Arzu dann zunächst geblieben ist.

Die Zeugin beschrieb, dass Arzu große Angst vor ihrer Familie gehabt habe. Vorher habe man nicht über die Familie gesprochen. Arzu habe nur erzählt, dass ihre Eltern nicht wissen dürften, dass sie eine Freund habe. Vom Richter befragt erklärte die Zeugin, dass Arzu zwar schon mal bei ihr zu Hause gewesen sei, sie aber nie bei Arzu.

Arzu habe auch erzählt, dass sie mit einem Mann aus der Türkei verheiratet werden sollte. Der jesidische Glaube habe aber in den Gesprächen keine Rolle gespielt.

Arzu habe noch einmal aus dem Frauenhaus angerufen, dass sie nicht zurück könne. Arzus Mutter und Geschwister seien dann bei der Zeugin aufgetaucht und hätten nach Arzus Aufenthalt gefragt. Außerdem seien „komische Anrufe“ gekommen. Letztlich habe sich auch Sirin gemeldet und damit gedroht, den Freund der Zeugin „anzuschwärzen“: Weil dieser im Haus der Freundin lebe, dort aber nicht gemeldet sei, sollte die Zeugin Arzus Aufenthaltsort preisgeben.

Arzu habe befürchtet, dass man sie verschleppen werde, weil ihr so viel passiert war (auf dem Waldweg zusammengeschlagen, Fahrrad gestohlen).

Ominöse Telefonate in der Tatnacht

Ein Polizist, der die Handy-Daten der Tatnacht ausgewertet hatte, wurde zu seinen Ergebnissen befragt. Er erklärte, dass es sich um insgesamt sechs Mobiltelefone handelte, wovon vier ausgewertet werden konnten, zwei jedoch nicht auffindbar sind. Eines dieser nicht vorgefundenen Handys gehörte Sirin, das andere war ihr altes Telefon, das sich in der Tatnacht „stabil“ im Haus der Familie Özmen befand, und bei der Mehrzahl der Gespräche in dem Zeitrahmen von 23:49 Uhr am 31.10.2011 bis 2:42 Uhr am 1.11.2011 eingebunden war (der Überfall selber war um 1:14 Uhr). Anwesend waren neben den Eltern Özmen nur noch der 16-jährige Bruder, die behinderte Schwester sowie zwei weitere kleinere Kinder. Damit ist der Personenkreis, der die Telefonate führen konnte, doch erheblich eingegrenzt.

Bemerkenswert ist, dass zwei Telefonversuche von Osman gegen ca. 2:40 Uhr zu dem Telefon im Haus keine Verbindung brachten – dies war genau der Zeitpunkt, als die Polizei im Haus der Özmens auftauchte. 

Diese Telefonverbindungen werden sicher bei der Frage der Beteiligung des Vaters an Entführung und Ermordung noch eine Rolle spielen.

Der Friedensrichter wird erneut befragt

Im Anschluss der Befragung des Polizeibeamten erschien noch einmal der ebenfalls bereits aus dem ersten Prozess bekannte „Streitschlichter“, der sich auch heute an nichts erinnern konnte. Er habe immer nur die streitenden Parteien zueinander führen wollen. Hintergründe im Fall Arzu seien ihm völlig unbekannt. Der Richter war über diesen Gedächtnisverlust doch erstaunt und fragte nach, ob der Schlichter sich nicht gewundert hätte und nachgefragt hätte, als Fendi Özmen ihn darum bat, mit der Polizei zu telefonieren. Es sei doch die natürlichste Sache der Welt, in einem solchen Fall einmal nachzufragen, was denn da passiert sei und warum die Polizei involviert war. Nein, da habe sich der Schlichter so gar nicht gewundert.

Der Staatsanwalt fragte dann noch nach, ob der Schlichter in Rechnung gestellt habe, dass das Mädchen möglicherweise in Gefahr sei, wenn die Familie bzw. der Vater als Auftraggeber den Aufenthaltsort des Mädchens erführe bzw. mit ihm zusammengebracht werde. Dies bejahte er! Allerdings beharrte der Friedensrichter darauf, dass er die streitenden Parteien nur zusammenbrächte, wenn beide dies wollten.

Der mangelnde Opferschutz gefährdet die Betroffenen

Der Polizeibeamte, der als Opferschutzbeauftragter Arzu nach ihrer Flucht anhörte und beriet, wurde vom Gericht aufmerksam vernommen. Arzu war ihm von dem Kollegen, der ihre Anzeige wegen Körperverletzung aufgenommen hatte, geschickt worden, weil dieser Arzu als gefährdet ansah. Arzu habe klar gesagt, dass sie wisse, dass sie ihre Familie verlassen müsse, dass sie kein Vertrauen zur Familie, insbesondere nicht mehr zu Vater und Brüdern habe. Sie wollte nur in Sicherheit gebracht werden und sei völlig eingeschüchtert gewesen. Einzelheiten zu ihrer Familie habe sie allerdings nicht erzählt. Sie habe lediglich gesagt, dass sie sehr streng erzogen worden sei und geschlagen werde.

Dieser Zeuge hatte dann zunächst Kontakt zum Mädchenhaus in Bielefeld gesucht. Eine Unterbringung war dort allerdings nicht möglich, da es Schwierigkeiten mit der Kostenübernahme gab. Diese hätte durch das Jugendamt Detmold erfolgen müssen, aber man befürchtete (berechtigterweise), dass die Schwester Sirin als Angestellte der Stadt dadurch Kenntnis von Arzus Aufenthalt bekommen könnte. Anschließend sei sie in ein Frauenhaus gebracht worden.

Für uns als peri e.V. ist das ein überdeutliches Zeichen, dass über die einheitliche Regelung der Finanzierung derartiger Hilfefälle dringend nachgedacht werden muss.

Die Hausdurchsuchung

Der Kripo-Beamte, der am 1.11.2011 bei der Hausdurchsuchung anwesend war, schilderte dem Gericht folgende Ereignisse: Er habe, nachdem weitere Einsatzkräfte das Haus umstellt hatten, geklingelt und Fendi Özmen und seine Frau hätten die Tür geöffnet. Er habe dann gefragt, wo Arzu sei, und von Fendi die Antwort erhalten, das müsse er als Polizist doch wissen, sie sei doch bei der Polizei. Darüber habe sich Fendi erheblich aufgeregt. Die Aufregung galt keineswegs der Mitteilung, dass Arzu entführt worden sei.

Es wurde dann die Hausdurchsuchung durchgeführt. Drei Räume waren verschlossen, zu denen Fendi angeblich keinen Schlüssel habe. Es handelte sich um die Zimmer von Osman, Sirin und Elvis. Die Türen wurden eingetreten, wobei bei der Tür zu Sirins Zimmer etwas heftiger vorgegangen werden musste, sodass das Türblatt erheblich beschädigt wurde. Dies habe Fendi erbost.

Fendi wurde dann mit der Nachricht konfrontiert, dass sich inzwischen herausgestellt hätte, dass seine Kinder die Verschleppung durchgeführt hätten. Er behauptete daraufhin, seine Kinder seien auf einer Party.  Der Zeuge erklärte dann noch, er habe Fendi absichtlich als Familienoberhaupt angesprochen und ihn aufgefordert, seine Kinder anzurufen, damit diese sich unverzüglich bei der Polizei meldeten. „Sie sind das Familienoberhaupt. Ich mache Sie persönlich verantwortlich, wenn Arzu etwas passiert. Ich verlasse mich auf Sie“, lauteten die Worte des Beamten. Insgesamt habe sich Fendi völlig unkooperativ verhalten.

Fendi Özmen zeigte kaum emotionale Regung

Sodann wurde ein weiterer Polizist gehört, der ebenfalls an der Durchsuchung des Hauses der Familie teilgenommen hatte. Man habe Fendi Özmen bei dieser Durchsuchung „in Schach halten“ müssen. Insgesamt erschien Herr Özmen nicht besonders geschockt über die Nachricht der Entführung seiner Tochter, so der Polizeibeamte.

Während der Durchsuchung kamen drei Personen der Familie A. aus Bielefeld, die Unruhe in die Situation brachten. Dies hatte offenbar einen besonderen Grund: In den Augen des Polizisten legte die Familie A. alles darauf an, dass möglichst viele Polizeikräfte im Haus der Familie Özmen gebunden blieben, um nicht an der Suche nach Arzu teilnehmen zu können. So beharrte Frau A. darauf, dass ein Protokoll über die beschädigten Türen aufgenommen werde.

Befragt nach seiner Einschätzung bezüglich Fendi Özmen sage dieser Zeuge, dass er ruhig gewesen sei und sich hauptsächlich über die Durchsuchung aufgeregt habe. Der Sachverhalt der Entführung seiner Tochter habe ihn völlig kalt gelassen – dafür sei die Polizei verantwortlich, die hätte Arzu ja beschützt, so Fendi Özmen. Ansonsten habe der Angeklagte gemauert.

Kleine Gesten, die große Tragödien erzeugen

Als nächste Zeugin wurde eine Freundin von Arzu gehört, die mit ihr zur Schule gegangen war. Auch diese Zeugin erklärte, dass sie nie im Haus der Familie Özmen gewesen war. Mit Ausnahme von Elvis, den sie einmal zufällig gesehen habe, kenne sie auch kein anderes Familienmitglied.

Diese Zeugin spielte im Zusammenhang mit den Rosen, die Alex (Arzus Freund) eines Tages Arzu geschenkt hatte, eine Rolle. Als Arzu nämlich die Rosen von Alex ins Haus bekam, witterte die Familie natürlich sofort, dass hinter diesem Geschenk ein Mann, vermutlich ein Nicht-Jeside, steckte. Arzu rief in ihrer Verzweiflung bei dieser Freundin an und bat sie, der Familie Özmen irgendetwas zu sagen, dass die Rosen eigentlich für sie, die Zeugin bestimmt gewesen seien. Die Zeugin habe daraufhin bei Özmens angerufen und behauptet, die Rosen seien eigentlich zum Hochzeitstag ihrer eigenen Eltern gewesen.

Dieser kleine Ausschnitt verdeutlicht, in welcher Zwangslage Arzu sich befand. Jede ihrer Bewegungen wurden überwacht und streng kontrolliert. Sie war gefangen in einer Welt aus strikten Gesetzen, die kaum Raum ließen für individuelle Lebensentscheidungen.


Am 30.01.2013 ist der nächste Verhandlungstermin.

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Detmold, 28.01.2013

 

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