Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Prozess im Fall Ramia / 16. September 2016

1. Die Geschichte des MOSTAFA

 

Es wird zunächst ein Schreiben von MOSTAFA aus der Haft an seine Schwester und seinen Schwager verlesen. U.a. heißt es dort: „Ich war mir selbst nicht bewusst, was ich getan habe. AYMAN ist schuld, er hat uns unter Druck gesetzt. .. Ich schwöre es, was ich getan habe, kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren… Ich wollte in Deutschland mein Leben leben und meine Freiheit genießen… AYMAN hat uns unter Druck gesetzt, er hat mich gezwungen, so was zu machen. … Wir leben in der Fremde und haben alles verloren. … Sagt meiner Mutter, sie möge mir vergeben.“


MOSTAFA lässt sich dann noch zu seinen persönlichen Verhältnissen befragen:


Er ist am 15.1.94 in Syrien geboren. Die Schule hat er bis zur 8. Klasse ohne Abschluss besucht. In der Schule war es schlimm, er wurde täglich von den Lehrern geschlagen. 2009 verließ er die Schule und arbeitete zunächst als Kfz-Mechaniker; dann kaufte sein Onkel eine Baumaschine und er arbeitet mit dieser. Dann kam der Krieg.


Anfangs kamen Soldaten der Regierungstruppen; sie nahmen alle jungen Leute mit. Manche wurden umgebracht, andere zum Militär gezwungen. Zeitweilig hatte er sich mit seinem Bruder in Höhlen versteckt; dort hörte man die Schreie der Menschen, die gefoltert wurden. Leute, die aus Gefängnissen kamen, berichteten von Folterungen. Noch heute hat er Angst vor Flugzeugen, denn es kamen dann Flugzeuge, die Bomben warfen. Einer dieser Angriffe verursachte den Einsturz einer Mauer des Hauses, unter dem er dann verschüttet wurde; er kam erst in einem Lazarett wieder zu sich. Seit der Zeit ist er auf einem Ohr quasi taub.


Er wurde dann mit einem Wagen in die Türkei gebracht, wo er in einem Krankenhaus behandelt wurde. Dort blieb er 2-3 Monate. Er kam schließlich nach Griechenland, wo er mehrfach versuchte, weiterzureisen nach Deutschland. Da dies nicht gelang, nahm er ein Schiff Richtung Italien, das jedoch auf See funktionsuntüchtig wurde, so dass die Flüchtlinge 4 Tage auf dem Meer ohne Nahrung und Getränke waren. Sie wurden dann gerettet. In Italien blieb er 2 Wochen; es ging dann wieder in die Schweiz, und am 28.3.13 kam er in Deutschland an. Er kam dann erst in ein Flüchtlingslager nach Gießen.


In Hanau besuchte er dann eine Schule und arbeitete zusätzlich. Die Schule bestand er mit dem B1-Zertifikat. Beim Arbeitsamt hatte er sich dann um einen Ausbildungsplatz bemüht.


Zu den Fotos befragt, die ihn mit Waffen zeigte, meinte MOSTAFA, er hätte nie gekämpft. Alle Jugendlichen hätten damals solche Fotos gemacht und die dann als Profilbilder auf WhatsApp oder Facebook gestellt. Alle Freunde hatten das gemacht; auch er wollte damit nur angeben, er kenne die verschiedenen Gruppierungen gar nicht.


Der Richter fragte dann nach der starken Vernetzung mit syrischen Landsleuten in Deutschland auch außerhalb Hanaus, trotz der relativ kurzen Zeit, die MOSTAFA erst in Deutschland lebte. Dazu wollte MOSTAFA dann nichts sagen. Auch zu der Frage, ob er als Jüngerer möglicherweise die Tat auf sich nehmen wolle (dabei bezog sich der Richter auf die Zeugenaussage des Nachbarn aus dem 2. Stock, der 2 Leute die Treppe runterkommen hörte), wollte er sich nicht äußern.


Es werden ärztliche Befunde eines MRT vorgelegt, wonach keine pathologischen Veränderungen des Schädels feststellbar sind, insbesondere auch keine Metallsplitter.


Auf Befragen erklärte MOSTAFA, er kenne seinen Vater nicht, noch nicht einmal von einem Foto. Dieser sei 1996 bei einem Autounfall verstorben. Insgesamt hat er 7 Schwestern und einen Bruder.


Der Richter erbat dann noch eine Selbstbeschreibung von MOSTAFA: er sei Problemen immer aus dem Weg gegangen und hätte nur an seine Zukunft gedacht. Er hatte ja keinen Vater mehr, der sich um ihn kümmerte und ihn schützte. Die Rolle des Vaters hätte die Mutter übernommen, und das hätte er auch akzeptiert. Auf ihn würde doch niemand hören, er sei ja zu jung.


Zur Frage der Organisation der Flucht berichtete MOSTAFA, dass ihn jeweils Schleuser weitergebracht hatten; die Flucht von der Türkei bis Deutschland hätte ihn 4.500,- € gekostet. Seine Schwester hatte ihm ein Goldstück gegeben, damit er fliehen konnte.


Befragt, ob er religiös sein, erklärte MOSTAFA, dass er, seit er in Deutschland ist, vielleicht 3 oder 4x in einer Moschee gewesen sei. Er hätte auch nicht gefastet, weil er ja gearbeitet hatte. Überhaupt verstehe er auch vieles im Koran nicht, der sei ja auf hoch-arabisch geschrieben.


Er nehme keine Drogen, Alkohol trinke er schon mal bei Festen. Vor der Tat hatte er keinen Alkohol getrunken. 


Zum Thema Ehebruch habe er keine Meinung. Seine Beziehung zu RAMIA in Deutschland sei gut gewesen. Sie hatte bei ihm gelebt, für ihn gekocht, den Haushalt gemacht und sie seien wie Freunde gewesen. Auch RAMIA sei nicht streng gläubig gewesen, sie war ganz normal, ging zur Schule in die Stadt. Das Kopftuch habe sie freiwillig getragen.

 

2. Das Gutachten des Psychiaters

 

Es folgt dann das Gutachten des Psychiaters zur Frage der Schuldfähigkeit. Eine Exploration hatte MOSTAFA abgelehnt, so dass sich das Gutachten auf die Aktenlage und die Hauptverhandlung stützte.


Psychosen oder hirnorganische Störungen liegen nicht vor, ebenso kein Zeichen für eine tatrelevante Intelligenzminderung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung oder eine schwere andere seelische Abartigkeit.


Bei MOSTAFA sei von einer leichten bis mittelschweren Belastungsstörung auszugehen. Für ihn lag eine psychische Belastungssituation vor: der drohende Ehrverlust für die Familie, der Stress mit AYMAN, aber auch eine narzisstische Kränkung, weil RAMIA bei dem Streit nach dem Ehemann rief und nicht nach ihrem Bruder.


Auf der einen Seite gab es die Motivation, dass er RAMIA helfen wollte und auch von AYMAN wohl provoziert wurde; andererseits ging die körperliche Aggression aber auch von ihm aus. Dass es sich um eine persönlichkeitsfremde Tat gehandelt haben soll, kann auch nicht ohne weiteres angenommen werden. Dagegen sprechen die Fotos, die MOSTAFA mit der Waffe zeigen.


Der Gutachter setzte sich dann mit der Frage auseinander, ob es sich um eine Affekttat gehandelt haben könnte, entsprungen z.B. aus jahrelangen Demütigungen, die dann in einem sogenannten „Overkilling“ enden können. Dies sei jedoch nicht der Fall. Das Verhältnis zu RAMIA sei durchweg gut gewesen, von ihr sei er nicht gekränkt worden. Dagegen spricht auch, das von MOSTAFA durchweg gesagt wurde „er war so wie immer“.


Beim Tatablauf spreche zwar der äußere Ablauf für ein eruptives Ereignis, auch, dass die Tatwaffe nicht gesichert wurde. Andererseits spricht MOSTAFAs Äußerung, er wäre dann „wieder zu sich gekommen“, als MOHAMMAD ihn dann ansprach, dafür, dass lediglich eine sehr kurze Amnesie vorlag. Bei einem echten Affekt wäre die Amnesie vielmehr eine längerfristige bis hin zur vollständigen Tatleugnung. Auch die Risikoabsicherung nach der Tat spricht gegen eine Affekthandlung. Auch war der Ablauf eben nicht so eruptiv: zunächst wurde eine verbale Auseinandersetzung geführt, dann eine körperliche, diese zunächst in der Wohnung, dann im Flur – all dies spricht nicht für eine veränderte Bewusstseinslage.


Das Nachtatverhalten war sogar eher besonnen: MOSTAFA putzte die Blutspuren ab und nutzte dazu noch eine Pfütze, und auch als er wieder bei sich war, machte er keine Anstalten, irgendwelche Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Dass sogar über eine Flucht zurück nach Syrien gesprochen wurde, spricht ebenfalls gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit.


Ob der kulturelle Hintergrund (das jüngste Familienmitglied hat die Tat zu begehen) das Tatmotiv vorgibt, sei aus sachverständiger Sicht nicht zu beurteilen.


Der Gutachter sprach dann noch das Thema der posttraumatischen Belastungsstörung durch die Erfahrungen im Krieg und auf der Flucht an. Hier erklärte der Sachverständige, dass MOSTAFA zwar traumatische Erfahrungen gemacht hätte, diese aber keinen Einfluss auf sein Tatverhalten hatte. Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung würden solchen Streitsituationen vollständig aus dem Weg gehen. Bei ihnen wäre auch eher eine Eigengefährdung als eine Fremdgefährdung gegeben. Dies wäre anders nur bei stetigem Drogenmissbrauch, von dem hier nicht ausgegangen werden kann.  Außerdem hätte MOSTAFA bei einer schweren Traumatisierung seine Arbeitsaufträge (Schule, Arbeitgeber) nicht ausfüllen können.


Der Gutachter schloss Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des Gesetzes aus. Er wies auch noch auf einen Widerspruch in MOSTAFAs Bericht hin: MOSTAFA hatte gesagt, er sei aus Syrien geflohen, weil er keine Waffe in die Hand nehmen wollte – andererseits posiert er für ein Foto mit der Waffe in der Hand.


Zur Sozialprognose führte der Sachverständige noch aus, dass hier eine spezielle Beziehungskonstellation vorliegt, so dass von „potenziell gewaltbereit“  nicht ohne weiteres gesprochen werden kann. Andererseits gibt es da die Brutalität im Vorgehen und das Verletzungsmuster (es wurde gezielt in den Hals gestochen). Nach wie vor scheint MOSTAFA überfordert mit seiner Rolle in der Familie. Das Risiko für weiteres delinquentes Verhalten sei vorhanden. Wichtig für eine positive Prognose seien die eigenen Integrationsbemühungen (hier insbesondere Kontaktsuche zu deutschen Freunden).


Angesprochen darauf, dass der Gutachter einen sogenannten Ehrenmord erwähnt hatte, erklärte der Sachverständige, dass die Beschäftigung mit diesem Aspekt für die Frage der Schuldfähigkeit von Bedeutung war. Da aber nicht geklärt werden konnte, ob es in der Familie eine „Beschlusslage“ zur Tötung gab, könne dies auch nicht unterstellt werden.

 

3. MOSTAFAs Bruder MOHAMMAD gibt eine Stellungnahme ab

 

Im Anschluss an das Gutachten gab dann MOHAMMAD eine Stellungnahme ab:
„Als ich in die Wohnung bin, saßen wir zusammen. AYMAN hat mich persönlich angesprochen: Ihr seid keine Männer, Ihr habt keine Ehre. Und dann ist AYMAN aufgestanden und hat die Wohnung verlassen. Dann hat AYMAN MOSTAFA mit Worten verletzt und ich wusste, wenn AYMAN weitermacht, wird MOSTAFA die Kontrolle verlieren. Dann hat AYMAN mich angegriffen und er war über mir. Dann hat MOSTAFA ein Stück Holz genommen und auf AYMAN eingeschlagen.


Dann ist AYMAN aus der Wohnung in den 2. Stock gelaufen. Ich wollte AYMAN zur Rede stellen, der war im Gespräch mit einem Türken. Dann habe ich AYMAN gepackt. Ich habe Stimmen im 3. Stock gehört und wollte hoch und nachsehen, was ist. Da habe ich meine Schwester auf dem Boden gesehen. Ich habe die Kontrolle über mich verloren, mir wurde schwarz vor Augen, ich konnte mich meiner Schwester nicht nähern.“


Zu den Würgemalen an AYMANs Hals: „Ich habe ihn mit der rechten Hand am Hals gedrückt. Ich wollte ihn nicht würgen, ich wollte, dass AYMAN aufhört, Beleidigungen auszusprechen.“


Und zu der Bemerkung der Gerichtsmedizinerin, der AYMAN sei so richtig vermöbelt worden: „Kann ja sein, dass der MOSTAFA auf AYMAN  geschlagen hat, aber ich nicht.“


Und weil MOHAMMAD jetzt sprach, fragte der Richter ihn nach den Fotos (hier muss ich einfügen, dass die kinderpornografischen Fotos, deren Besitz ebenfalls angeklagt ist, bereits am 13.9. Thema in der Verhandlung waren. Hier hatte MOHAMMAD behauptet, die Bilder seien bereits auf dem Handy gewesen, als er es kaufte. Es wurde aber der Verlauf des ausgelesenen Handys gezeigt, wonach Porno-Seiten am 1.1. und am 5.1.16 geöffnet worden waren und sich die Fotos zwischen weiteren Fotos der Familie befanden. Die Einschaltung eines Fachmannes des BKA war angedeutet worden).


Dazu erklärte MOHAMMAD: „ich bin verheiratet, ich habe ein Kind, ich habe auch eine Freundin, ich weiß nicht, wie diese Bilder in mein Handy kommen. Vielleicht waren es Viren. Ich schwöre bei Gott, dass ich damit nichts zu tun habe.“


Dies veranlasste den Staatsanwalt zu der Bemerkung, vielleicht müsse man MOHAMMAD mal klarmachen, dass man in Deutschland auf Pornoseiten gehen kann, dass es darum ja gar nicht geht. Allerdings ließen MOHAMMADs Behauptungen dazu Rückschlüsse auf seine Glaubwürdigkeit im Übrigen zu.


Das Gespräch kam dann wieder zurück zu den Vorfällen am 7.1.16.


Der Richter fragte, warum MOHAMMAD denn AYMAN gewürgt hätte: weil dieser seinen Bruder nicht mehr beleidigen sollte oder weil es ein Gerangel gab? Und warum er hinter AYMAN hergegangen war?


„Ich wollte mit AYMAN ruhig reden, um das Problem zu lösen.“


Welches Problem? „Es geht um meine Schwester.“


Wie kommt AYMAN auf die Idee, dass Sie keine echten Männer sind? „Er ist stockkonservativ“.


Was heißt das? Hier bricht MOHAMMAD seine Aussage ab.


Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt, berichtet MOHAMMAD. Am 25.10.89 in Syrien geboren, die Schule hat er 12 Jahre besucht und mit dem Abitur abgeschlossen, 2 Jahre lag studierte er Eisenbahntechnik, konnte aber wegen des Krieges keinen Abschluss machen.


Mit MOSTAFA und seiner Frau ist er in die Türkei geflohen, seine Frau ist mit dem Kind immer noch dort. In der Türkei hat er alle möglichen Arbeiten erledigt. Seit Juni 2015 ist er in Deutschland. Hier arbeitet er vormittags auf einer Baustelle, nachmittags besucht er die Schule. Zu der Freundin, die er in der Türkei hatte, hat er nun keinen Kontakt mehr, die ist verheiratet.


Bevor die Plädoyers gehalten werden, beantragt der Staatsanwalt, die Vorwürfe wegen Besitzes der kinderpornografischen Bilder und wegen unterlassener Hilfeleistung im Hinblick auf die zu erwartende Strafe für die Körperverletzung einzustellen; das Gericht erlässt den entsprechenden Einstellungsbeschluss.


Sodann hält der Staatsanwalt seinen Schlussvortrag:

 

4. Das Plädoyer des Staatsanwalts

 

Die Vorwürfe der Anklageschrift seien in vollem Umfang bewiesen.


Die Ehe von RAMIA und AYMAN sei sicher keine Liebesheirat gewesen, sondern eine Zweckgemeinschaft. RAMIA war für AYMAN der Schlüssel für den Aufenthalt in Deutschland. In ihrer Ehe kriselte es. AYMAN will eine Speicherkarte gefunden haben, auf der Bilder von RAMIA zu sehen waren. Er hat die Bilder nicht beschrieben und erklärt, dass er sie aufhob für eine mögliche Scheidung. Nach dem Tod hätte er sie dann nicht mehr gebraucht (dies wirft ein Licht auf AYMANs Zielrichtung). Ob die Bilder überhaupt existieren, ist unbekannt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sie gar nicht gibt. Wann die Angeklagten von den Bildern erfuhren, ist ebenfalls unbekannt geblieben.


Unklar ist auch geblieben, ob RAMIA der Prostitution zugeführt wurde. Einen Nachweis dafür gibt es nicht. Sicher wollten die Angeklagten Aman auch in ein schlechtes Licht rücken, aber der Lebensstil, den die Eheleute führten, spricht nicht für das Einkommen eines Zuhälters. 


Ein Zusammenwirken von AYMAN mit den Angeklagten konnte nicht bestätigt werden.


AYMAN hat die Brüder gegen RAMIA aufgestachelt. MOSTAFA hat die Blamage gesehen, dass das Übliche nicht funktionierte, dass RAMIA eben nicht gehorsam war.


Es ging dann „ordentlich rund“. Jedenfalls flüchten AYMAN und RAMIA ins Treppenhaus und versuchten dort verzweifelt, in eine andere Wohnung zu kommen. Die Verzweiflung muss schon sehr groß gewesen sein, da es für eine syrische Familie eher unüblich ist, familieninternen Streit außerhalb der Familie bekannt zu machen.


RAMIA bleibt anders als AYMAN, der in den 2. Stock flüchtet, im 3. Stock und ruft dort um Hilfe und auch nach ihrem Mann. MOSTAFA holt nun das Messer aus der Küche – warum, ist unklar. Er behauptet, zu seiner Verteidigung, aber niemand hat ihn angegriffen. AYMAN hält sich nun mindestens 3 Minuten in der Wohnung im 2. Stock auf – wo MOHAMMAD in der Zwischenzeit ist, bleibt unklar.


Wenn nun MOSTAFA behauptet, es habe einen lauten Streit gegeben, wie im Krieg, so ist dies als reine Schutzbehauptung zu werten; kein einziger Zeuge hat das bestätigt. Alle Zeugen haben nur einen Schrei gehört – den Todesschrei von RAMIA.


RAMIA wurde mit 15 Messerstichen hingerichtet, zielgerichtet und wuchtig. Die Vorstellung, wie RAMIA vor ihrem Schlächter kauerte, erinnerte an Bilder der Terrorgruppen in Syrien, vor deren Flagge MOSTAFA posiert hatte. Die Stiche wurden jedenfalls so präzise gesetzt, dass irgendeine Gegenwehr nicht erkennbar war. „RAMIA ist geschlachtet worden wie ein Schaf“.


Eine Rettung wäre nicht mehr möglich gewesen. Beide Brüder ergreifen dann die Flucht, lassen sich mit dem Taxi ganz ruhig nach Trier fahren, lassen sich mit 500,- € ausstatten, kaufen Mützen (um nicht sofort erkannt zu werden?), telefonieren mit dem Onkel von einer öffentlichen Telefonzelle aus, weil sie befürchten, er wird bereits abgehört. Hier stellt sich dann die Frage, woher die beiden sich mit dem Thema „Abhören“ auskennen. Gleiches gilt für die Zerstörung der SIM-Karten, damit eine Ortung unmöglich ist – und auch der Internet- Recherche über eine mögliche Strafhöhe. Irgendwelche Anstalten, sich zu stellen, wurden zu keinem Zeitpunkt gemacht.


Der Staatsanwalt beantragt für MOHAMMAD wegen einfacher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und 2 Monaten, die für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird, zusätzlich 200 Sozialstunden.


Bei MOSTAFA sieht er die gefährliche Körperverletzung in 2 Fällen sowie einen Schwangerschaftsabbruch und einen Totschlag in einem besonders schweren Fall verwirklicht.


Es geht zwar um die Familienehre, aber ein Mord im juristischen Sinne liegt nicht vor. Dazu müsste MOSTAFA schon von Anfang an geplant haben, seine Schwester umzubringen. Hier lag jedoch eher ein emotionaler Gewaltausbruch vor: Rami hatte die Erwartungen von MOSTAFA an sie enttäuscht, sie hat ihm nicht gehorcht; MOSTAFA hat als arabischer Mann versagt. Trotz der Schläge gehorcht sie ihm nicht; nun steht er als Blödmann da, weil er es nicht schafft, dass seine Schwester ihm gehorcht.


Ein besonders schwerer Fall des Totschlags liegt vor, wenn der Täter besonders brutal handelt. Der Grund für die Tötung jedenfalls ist von unserer Rechtsordnung nicht akzeptiert: „Wir können nicht billigen, dass MOSTAFA ein Sanktion verübt, vor der wir ihm und seinen Landsleuten Schutz gewähren“.


Für MOSTAFA beantragt der Staatsanwalt daher eine lebenslange Freiheitsstrafe.


MOHAMMADs Verteidiger beschränkt sich zunächst auf den Hinweis, dass MOHAMMAD nur eine einfache Körperverletzung verwirklicht hat und, wäre er allein angeklagt, damit nur vor dem Amtsgericht gelandet wäre und eine Freiheitsstrafe sicher unter der vom Staatsanwalt geforderten Strafe ausgesprochen würde.


In seinen Augen hatte der Staatsanwalt zu emotional plädiert, wenn er Worte wie „Abschlachten“ benutzt.


Außerdem säßen nicht alle auf der Anklagebank; AYMAN könne nahezu Anstiftung vorgeworfen werden.


Berechtigterweise als „erschütternd“ bezeichnete der Verteidiger die Zeugenaussagen insbesondere der Nachbarn im Haus, die sich wie die drei Affen verhalte hätten „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“; dies sei nicht nur menschlich erbärmlich gewesen, sondern wäre als „unterlassene Hilfeleistung“ anzuklagen gewesen.

 

5. Das Plädoyer von MOSTAFAs Verteidiger

 

Der Schlussvortrag von MOSTAFAS Verteidiger:


Die Einlassung von MOSTAFA sei durch die Hauptverhandlung nicht widerlegt worden. Den Ausführungen von AYMAN, der trinkt, schlägt, nötigt und sich mit Bildern einen Vorteil verschaffen will, kann kein Glauben geschenkt werden. Überhaupt gibt es keinen Zeugen, dem man glauben kann. Die Nachbarin Aydin sei unglaubwürdig, wenn sie behauptet, die allein hätte zwei Menschen auf einmal zur Wohnung rausgeworfen, die zweite Familie Aydin sei ebenso unglaubwürdig, wenn sie behauptet, sie hätte nichts mitbekommen.


Es ging bei der ganzen Tat nicht um Ehre oder ähnliches. Die Brüder waren in die Vater-/Mutterrolle geschlüpft und haben „es nicht hingekriegt“, sie konnten diese Rolle nicht ausfüllen.


In den Augen der Brüder war für die Lösung der Eheprobleme doch ein guter Kompromiss gefunden worden: die beiden leben in einer Wohnung „wie in einer WG“. Bei dem zwischenzeitlichen Besuch bei der Schwester sei dann alles gekippt, und sie wollten RAMIA da rausholen. Aber RAMIA widersetzte sich; sie will bei ihrem verkommenen Ehemann bleiben.


Dann gerät die Sache außer Kontrolle: AYMAN beschimpft und beleidigt, RAMIA bestätigt das Vorhandensein von Videos – MOSTAFA ohrfeigt sie. Und danach entwickelt sich eine Eigendynamik. Vielleicht hat RAMIA für das Fehlverhalten des Ehemannes büßen müssen. Die Tötung war nicht geplant.


Zum Nachtatverhalten: das war keine geplante Flucht – und wie hätten sich die beiden denn im Taxi verhalten sollen?


Und die Fotos, die MOSTAFA mit Waffe in Syrien zeigen: das hat 0 kriminellen Hintergrund. Es war eine dumme Idee, eine pubertäre Dummheit.


Der Verteidiger beantragt, MOSTAFA wegen Totschlags zu verurteilen, aber sicher nicht in einem besonders schweren Fall. Denkbar sei nahezu schon ein minder schwerer Fall, jedenfalls sollte auch berücksichtigt werden, dass MOSTAFA gerade erst die Schwelle zum Erwachsenenstrafrecht überschritten hatte. Eine Strafe im einstelligen Bereich sei angemessen, nämlich 9 ½ Jahre.

 

6. Das letzte Wort haben die Angeklagten

 

Das letzte Wort haben die Angeklagten.


MOSTAFA: „Was ich gemacht habe, ist sehr schlimm. Es war und ist meine Schwester. Bis AYMAN kam, haben wir eine gute Zeit verbracht.“ Hier bricht MOSTAFA dann weinend ab.


MOHAMAD: „Der wahre Mörder ist nicht da. Der Mann hat uns beleidigt und beschimpft und meinen Bruder provoziert.“


Das Urteil wird am 26.09.2016 gesprochen werden.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Hanau, 16.09.2016
 
Kontakt für weitere Informationen:
Pressestelle peri e.V.
Bachgasse 44
D-69469 Weinheim
E-Mail: kontakt(at)peri-ev.de
Internet: www.peri-ev.de