Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Prozess im Fall Ramia / 01. September 2016

1. Der Fall und die Anklageschrift

 

Vor dem LG Hanau begann am 1.9.16 der Prozess gegen zwei Brüder, denen vorgeworfen wird, ihre schwangere Schwester RAMIA erstochen zu haben bzw. keine Hilfe geleistet zu haben. Die Frau war damals im 6. Monat schwanger; das ungeborene Kind überlebte die Tat nicht.

 

Angeklagt sind MOSTAFA A., 1994 in Syrien geboren, ledig und syrischer Staatsbürger und sein älterer Bruder MOHAMMAD, 1989 in Syrien geboren und verheiratet.

 

MOSTAFA befindet sich in U-Haft, der Bruder ist auf freiem Fuß.

 

Die Anklageschrift beschreibt folgenden Sachverhalt:

 

Am Abend des 7.1.2016 wurden beide Brüder telefonisch gebeten, zu ihrer Schwester RAMIA zu kommen, weil es mal wieder einen Ehestreit zwischen RAMIA und ihrem Ehemann AIMAN gab. Der Ehemann hatte RAMIA vorgeworfen, eine außereheliche Beziehung zu haben und das Kind aus seiner ersten Ehe geschlagen zu haben.

 

MOSTAFA fühlte sich durch die Aussagen seines Schwagers provoziert, weil er die Familienehre in Gefahr sah. Er schlug sowohl auf seine Schwester als auch auf seinen Schwager ein. MOHAMMAD packte seinen Schwager und würgte ihn. Die Eheleute flüchteten in den Hausflur, während MOHAMMAD in der Wohnung blieb. MOSTAFA nahm aus der Küche ein Messer, und während AIMAN zu einem Nachbarn flüchtete, blieb seine Schwester im Flur, wo MOSTAFA ihr 15 Messerstiche in den Rücken und den linken Brustbereich versetzte. RAMIA starb noch am Tatort; das ungeborene Kind überlebte wegen des Sauerstoffmangels nicht.

 

MOHAMMAD erkannte die Tat, unternahm aber keinen Rettungsversuch, sondern flüchtete zusammen mit seinem Bruder.

 

Bei der Festnahme wurde auch MOHAMMADs Mobiltelefon sichergestellt, auf dem sich kinderpornografische Bilder befanden, u.a. ein unbekleidetes deutlich unter 10 Jahre altes Kind, das gefesselt war. Es war so positioniert worden, dass es gezwungen war, den Unterkörper, der quasi frei schwebte, in die Kamera zu halten.

 

Der juristische Vorwurf lautet daher auf Totschlag, Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung und bezüglich MOHAMMAD auch noch Besitz von Kinderpornografie.

 

2. MOSTAFA erklärt seine Version


Während MOHAMMAD sich zu den Vorwürfen und dem Sachverhalt nicht äußerte (er behält sich eine Einlassung vor), ließ MOSTAFA seinen Verteidiger eine vorbereitete Erklärung verlesen:

Am 7.1.16 rief ihn seine Schwester wegen eines Ehestreits an. Das Verhältnis seiner Schwester zu ihrem Mann war schlecht. Dieser schlug sie regelmäßig und rauchte darüber hinaus Haschisch.

 

Gegen 19:30 Uhr am 7.1.16 kam MOSTAFA zu seiner Schwester. AIMAN wollte die Scheidung. Dies hatte er schon früher gesagt, aber je näher seine Einbürgerung rückte, umso massiver wurde der Wunsch nach Scheidung. MOSTAFA wies AIMAN darauf hin, dass es doch immerhin RAMIA war, die ihn aus dem Libanon nach Deutschland geholt hatte.

 

Hier fügte MOSTAFA an, dass sein Vater schon lange tot war und er und MOHAMMAD die Vaterrolle für die ältere Schwester RAMIA (30 Jahre alt!) übernommen hatten.

 

Man unterhielt sich dann eine Zeit und kam überein, dass die Eheleute in der Wohnung wie in einer WG leben sollten.

 

Die Brüder fuhren dann zu ihrer anderen Schwester FATMA, die diese Lösung überhaupt nicht gut fand und den beiden sagte, sie sollten RAMIA aus der ehelichen Wohnung holen. Beide gingen dann zurück zu RAMIAs Wohnung und teilten mit, dass RAMIA nun mit ihnen kommen sollte.

RAMIA wollte aber an der Ehe festhalten, während AIMAN den Wunsch hatte, dass die beiden RAMIA mitnahmen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, erzählte AIMAN den beiden von „Sex-Videos“, die RAMIA gemacht hätte und die er hatte; sollten die beiden also RAMIA nicht mitnehmen, werde er die Familie mit diesen Sex-Videos bloßstellen. Dazu sprach er gegenüber den Brüdern Beleidigungen aus; AIMAN hatte sie ohnehin ständig beleidigt. Diese „Sex-Videos“ gab es tatsächlich. MOSTAFA gab seiner Schwester daraufhin eine Ohrfeige, während MOHAMMAD sich mit AIMAN ein Gerangel lieferte.

 

AIMAN lief dann aus der Wohnung, sein Bruder und die Schwester hinterher. Da holte MOSTAFA aus der Küche ein Messer, mit dem er aber nur AIMAN in Schach halten wollte; keinesfalls wollte er es gegen seine Schwester einsetzen, der er nur helfen wollte.

 

Im Treppenhaus gab es dann ein unglaubliches Geschrei, das ihn plötzlich an die panischen Schreie bei Angriffen in Syrien erinnerte. In dem Augenblick kamen schreckliche Bilde in ihm hoch. Seine Schwester stand neben ihm und schrie laut „AIMAN“, was für ihn unverständlich war, weil sie von AIMAN doch immer schlecht behandelt worden war und die Brüder ihr doch nur helfen wollten. In dem Augenblick stach er auf die Schwester ein, er hatte die Augen geschlossen und war völlig außer sich.

 

Er kam erst wieder zu sich, als sein Bruder erschien und ihn fragte „Was hast du getan?“ Da erst sah er RAMIA in ihrem Blut liegen; sie atmete noch. Überall war Blut.

 

Als er im Haus jemanden „Polizei“ rufen hörte, geriet er in Panik. Er hatte Angst vor der Polizei, weil die syrische Polizei so brutal ist.

 

Mit dem Taxi fuhr man dann zunächst nach Bitburg, von dort nach Trier zu Bekannten/Verwandten.

 

Er hatte immer ein gutes Verhältnis zu seiner Schwester, sie hatte ja auch eine Zeitlang bei ihm gewohnt. Wenn er seine Schwester also hätte töten wollen, dann hätte er das auch schon zuvor tun können. Er wusste, dass seine Schwester ein Verhältnis zu einem anderen Mann hatte.

In Deutschland wollte er ein neues Leben beginnen.

Er wiederholte, dass er und sein Bruder die Vaterrolle für RAMIA übernommen hatten. Und dann ließ er erklären, dass er nichts mit Al-Nusra zu tun hatte; das Foto, das ihn mit Waffen bei Facebook zeigt, sei aufgenommen worden, als er 15 Jahre alt war – da hätten alle solche Fotos gemacht.


3. Aus dem Protokoll des Ermittlungsrichters – die Version des MOHAMMAD

 

Da MOHAMMAD keine Angaben machte, wurde dann aus dem Protokoll des Ermittlungsrichters zitiert:

 

„AIMAN hatte angerufen, ich wollte eine gute Lösung finden. Ich wollte schlichten, aber MOSTAFA hat die Kontrolle über sein Verhalten verloren. MOSTAFA hat die Schwester geschlagen. AIMAN hat Videos gefunden, dass die Schwester Geschlechtsverkehr mit anderen Männern hatte.


Über die Gründe für eine Scheidung wurde nicht gesprochen, erst als ich auch in die Wohnung kam.


Es ist ihr Leben, sie kann frei entscheiden. Die Flucht meiner Schwester war sehr schwer.


AIMAN hat gesagt, dass es jeden Tag Probleme gibt, er wollte am nächsten Tag Einzelheiten berichten. Er sagte: „Eure Schwester hat keine Ehre, es geht um Euren Ruf in der Gesellschaft.“
MOSTAFA hat mich auch geschlagen. Wir wollten unsere Schwester mitnehmen, aber sie wollte bei ihrem Mann bleiben und wollte die Wohnung nicht verlassen.
AIMAN sagte immer wieder, wir hätten keinen Wert in der Gesellschaft.
Ich habe AIMAN nur festgehalten, nicht gewürgt.


Als ich die Treppe hochging, sah ich meine Schwester im Blut auf dem Boden liegen.


Ich habe meinen Cousin angerufen, damit der den Rettungswagen ruft.
Ich hatte Angst, ich kann kein Blut sehen.


Ich war traurig, dass ich meine Geschwister so gesehen habe.
AIMAN wollte zu Nachbarn; ich habe nicht gesagt „Wir werden Dich kriegen“.

 

Die Ehe mit AIMAN war nicht RAMIAs erste Ehe. Die erste Scheidung war schon ein Problem für die Familie, aber es wurde nicht diskutiert, ob wir sie damals töten sollten. Ich weiß nicht, warum ... das sagt. Die Scheidung reicht, und das ist ja auch schon 10 Jahre her.


Wir haben AIMAN nur festgehalten, damit er sich beruhigt. AIMAN hat versucht, MOSTAFA zu provozieren.


Wir waren auch bei der Schwester FATMA und wollten mit ihr und deren Mann zu RAMIA, um das Problem zu lösen.

 

Meine Vorstellung für eine Lösung war, dass er RAMIA verzeiht, wenn ich ihn daran erinnere, was meine Schwester für ihn getan hat.
Für mich wäre eine Scheidung ok gewesen.


Meine Schwester hat sogar AIMANs Füße geküsst, damit er ihr verzeiht.
Mein Bruder hat uns immer geschlagen; er ist stärker als ich, er arbeitet auf dem Bau.


Wir sind zu einem Freund nach Trier, ich wollte mich stellen, aber ich kann kein Deutsch, hätte also nicht anrufen können.


Wir wollten ein bisschen bei dem Freund bleiben, wurden dann aber von der Polizei festgenommen.“

 

Die Frage nach Kampferfahrungen beantwortete MOHAMMAD nicht.


4. Der Kriminal-Kommissar als Zeuge

 

Es wurde dann als Zeuge der Kriminalkommissar gehört, der die Brüder als erster bereits in Trier vernommen hatte. Beide Brüder wirkten klar und orientiert, sie hatten wohl auf der Fahrt nach Trier im Taxi geschlafen und sie waren ausdrücklich aussagebereit.

 

Auffällig war, dass MOSTAFA bemüht schien, seinen Bruder aus der ganzen Sache so weit wie möglich rauszuhalten. Beide erschienen dem Zeugen als weinerlich.

 

MOSTAFA berichtete, dass es bei der Schwester mal wieder einen Ehestreit gegeben hatte und beide Brüder von den Eheleuten telefonisch um Unterstützung gebeten worden waren. Hintergrund war das Verhalten des Opfers auf der Flucht aus Syrien: RAMIA soll in Ägypten einen Liebhaber gehabt haben, dem sie angeblich „Sex-Videos“ geschickt hatte, und auch in Deutschland sollte sie einen weiteren Liebhaber haben. Bei derartigen Ehestreitigkeiten sei es eben Usus, dass die Familie sich einschaltet, um die Probleme zu lösen.


Zwischen allen Beteiligten hatte sich dann ein Streit entwickelt.

 

Unklar blieb für den Zeugen bei dieser ersten Vernehmung, ob die Brüder A. erst an diesem Abend von den „Sex-Videos“ erfuhren. Nach ihrer Aussage wollte AIMAN jedenfalls Vorteile aus dieser Affäre ziehen. Denn nach der Ehr-Auffassung der Familie A. hätte das Bekanntwerden der Affären einen erheblichen Ansehensverlust in der Community bedeutet, was AIMAN wohl für sich ausnutzen wollte (die Rede war davon, dass es schon früher Geld“-Geschenke“ gegeben hatte).


Der Streit resultierte dann wohl daraus, dass die Brüder von AIMAN verlangten, den Stick, auf den er angeblich diese Videos gespeichert hatte, ihnen zu geben, damit ein Gesichtsverlust ausgeschlossen blieb.

Die Schwester FATMA soll von diesen Videos gewusst haben und wohl auch ihr Ehemann.

 

Angeblich zeigten die Videos RAMIA nackt, wie sie „an sich rummachte“. AIMAN behauptete, diese Videos gesehen zu haben, die RAMIA ihrerseits an den Ägypter hätte schicken wollen. AIMAN selber wollte, als er aus der versiegelten Wohnung noch Sachen für sich holte und dabei von einem Polizisten begleitet wurde, „etwas“ verschwinden lassen. Dies war eine Speicherkarte, deren Inhalt allerdings weder von der Polizei noch von externen Fachleuten wiederhergestellt werden konnte.

 

Als weiteren konkreten  Anlass für den Ehestreit hatte AIMAN erklärt, dass RAMIA sein Kind aus 1. Ehe geschlagen haben sollte. Dieser Sachverhalt war bei den Angeklagten aber völlig in den Hintergrund getreten im Verhältnis zu dem anstehenden möglichen Ehrverlust.

 

MOSTAFA hatte dann weiter berichtet, dass die Brüder die Wohnung gemeinsam verlassen hatten und „rumliefen“, um eine mögliche Lösung zu besprechen. Dann gingen sie zurück zur Wohnung, wo es dann zu der Eskalation gab.

 

Der Zeuge erklärte, dass er erst später erfahren hatte, dass die Brüder wohl bei der Schwester FATMA waren und eben nicht nur spazieren gegangen waren.

 

Die Brüder gingen dann zurück in die Wohnung von RAMIA und AIMAN, wo es wieder zu Beleidigungen und Hinweisen auf die „Ehrverletzung“ kam. Im Flur kam es dann zu einem heftigen Gerangel, bei dem MOSTAFA den Spiegel aus der Wand riss und damit auf AIMAN und seine Schwester einschlug. AIMAN verließ dann die Wohnung (hier fügte der Zeuge ein, dass ein Nachbar in seiner Aussage allerdings gesagt hatte, dass beide Eheleute die Wohnung verlassen hatten) und flüchtete nach unten, ließ RAMIA aber zurück.

 

MOSTAFA hatte dann aus der Küchenschublade ein Messer genommen und letztlich mit großer Kraftanstrengung auf RAMIA eingestochen. Dann kam MOHAMMAD wieder hoch, und beide verließen das Haus. Die Frage, warum er das Messer genommen hatte, hatte MOSTAFA damit erklärt, dass er ausgerastet sei.

 

Er hatte sich als „Familienoberhaupt“ verstanden, das die Sache regeln muss und verhindern muss, dass ein Ehrverlust eintritt. Der Vater war ja schon tot. Sein Zorn hatte sich gegen seine Schwester gerichtet, die mit solchen Videos die Familienehre beschmutzt hatte.

 

Auf Befragen erklärte der Zeuge, dass beide Angeklagten in ihrer Vernehmung nicht den Eindruck erweckt hatten, dass sie RAMIA mitnehmen wollten. Beide Angeklagten hatten auch erklärt, von RAMIAs Schwangerschaft nichts gewusst zu haben. Beide hatten auch ausdrücklich gesagt, eine Ehescheidung wäre ja nicht die Schande gewesen; die Schande wären allein die Videos gewesen, wenn diese zirkuliert wären.

 

RAMIA hatte sich nach Angaben der Brüder in Ägypten von einem Ägypter „aushalten“ lassen. Von dem Geld, mit dem der Ägypter RAMIA unterstützte, schickte sie auch Geld an AIMAN in den Libanon. AIMAN hatte nun wohl gesagt „Nun seid Ihr alle in meiner Hand“, RAMIA ihrerseits hatte dazu gesagt, dass Gott ihr sicher vergeben werde, was AIMAN dazu veranlasste zu sagten „Da, sie gibt es zu, jetzt seid Ihr gefickt“.


Dies führte dann zu MOSTAFAs „Ausraster“. MOHAMMAD hatte sich an der dann folgenden Schlägerei beteiligt.

 

Auf Befragen erklärte der Zeuge, dass bei der ersten Vernehmung keine Rede von Erinnerungen an den syrischen Krieg war, die bei MOSTAFA hochgekommen seien.

 

Zur Vernehmung von MOHAMMAD konnte der Zeuge sich ebenfalls daran erinnern, dass dieser unmittelbar aussagebereit war, zwar auch weinerlich, aber gleich erklärte, dass er gesehen hatte, wie sein Bruder RAMIA erstochen hatte.

 

MOHAMMAD schilderte den Ablauf der Ereignisse so, dass er als zweiter auf den Anruf hin in die Wohnung von RAMIA und AIMAN gekommen war; man wollte RAMIA mitnehmen. Bei der körperlichen Auseinandersetzung im Flur hatte MOHAMMAD sich um AIMAN „gekümmert“ und lief auch hinter diesem her, als der die Treppe hinunterlief, um zu einem Nachbarn in die Wohnung zu kommen. Er ging dann wieder zurück und sah auf der Treppe seine Schwester auf dem Boden liegen und MOSTAFA mit dem Messer in der Hand. Er hatte MOSTAFA dann gleich mitgenommen und ging mit ihm nach draußen. Auf die Frage des Zeugen, warum er denn nicht nachgesehen hatte, ob RAMIA noch lebte und warum er keinen Rettungswagen gerufen hatte, erklärte MOHAMMAD nur, er hatte sich ja um seinen Bruder kümmern müssen und außerdem konnte er nicht genug Deutsch, um einen Rettungswagen zu rufen.

 

Außerdem war seine Zielrichtung nur, den Bruder vom Tatort wegzubringen, alles andere war egal. 

 

AIMAN hatte nach MOSTAFAs Darstellung die Brüder provoziert und ihnen gesagt: „Ihr seid keine Männer. RAMIA hat Euren Eltern den Kopf gesenkt.“ (Dies soll nach Angaben des Dolmetschers bedeuten, dass den Eltern die Ehre genommen wurde, sie nämlich niemanden mehr ansehen konnten).

 

Sein Bruder hatte „neben sich gestanden“, so dass MOHAMMAD sich um ihn kümmern musste, er fühlte sich für ihn verantwortlich.

Nach Angaben des Zeugen dürften beide Brüder wohl ca. eine Minute mit RAMIA allein im Flur gewesen sein, als AIMAN zu einem Nachbarn geflohen war.


5. Der Ehemann AIMAN als Zeuge

 

Anschließend wurde AIMAN als Zeuge gehört. Dass er, wie der Polizist gesagt hatte, vor lauter Angst vor den Brüdern nicht aus seiner (offenen) Zelle bei der Polizei rauswollte, war ihm nicht anzumerken.

AIMAN berichtete, dass er RAMIA 2011 kennengelernt hatte und nach 2 oder 3 Monaten geheiratet hatte. Die Familien kannten sich ohnehin, da in dem Dorf, in dem beide lebten, jeder jeden kannte. „Die A.s sind gute Leute, es gibt nichts gegen sie zu sagen“.

 

Im Januar 2012 flohen dann alle vor dem Krieg, zunächst in das Nachbardorf. Von einer Kriegsverletzung von MOSTAFA war dem Zeugen nichts bekannt.

 

AIMAN und RAMIA flohen von dort zunächst in den Libanon, gingen dann nach Ägypten, von dort ging AIMAN wieder in den Libanon, dann in die Türkei und dann nach Deutschland, wo die Eheleute seit dem 21.5.2015 waren. Der Kontakt zur Familie A. wurde in dieser Zeit per WhatsApp gehalten. Das Verhältnis von RAMIA zu ihrer Familie war gut, ebenso das zu ihren Brüdern. Ein Familienoberhaupt gab es nicht. Es gibt eine Art Familienrat, der Beschlüsse fasst; ob RAMIA diesem Familienrat auch angehörte, konnte der Zeuge nicht beantworten.

 

AIMAN und RAMIA hatten 8 oder 9 Monate in Ägypten gelebt. RAMIA sollte eigentlich einen Monat nach AIMAN auch in den Libanon kommen und von dort in der Türkei zu ihrer Familie, aber sie sagte dann, dass sie nach Deutschland wollte. AIMAN ging in den Libanon, um Geld zu verdienen. RAMIA erhielt in ihrer Zeit in Ägypten Unterstützung von einer Hilfsorganisation. Außerdem hatte er ihr 100,- $ gegeben, was in Ägypten schon viel Geld ist. Von einem ägyptischen Liebhaber wusste AIMAN nichts.

Befragt, wie die weitere Flucht nach Deutschland bezahlt worden war, erklärte AIMAN, dass er seinen Arbeitgeber um einen Vorschuss gebeten hatte. Die Flucht selber hatte 2.500,- $ gekostet; er hatte 3.000,- $ bekommen, die er „abarbeitete“.

 

RAMIA ging dann von Ägypten nach Italien und überlegte, ob sie nicht nach Schweden zu einem Onkel gehen sollte. Sie entschied sich dann aber doch für Deutschland, weil da schon die Brüder waren. RAMIA lebte 1 Jahr in einem Heim, während AIMAN noch im Libanon war. Als AIMAN dann kam, lebte er zunächst auch eine Woche in einem Heim, dann zogen die Eheleute zu MOSTAFA. Das Zusammenleben mit MOSTAFA lief reibungslos, man feierte und lachte zusammen, es gab keine Streitigkeiten. Probleme gab es nur zwischen ihm und seiner Frau, sie war ganz anders und war mit nichts zufrieden, was ihr Mann machte. „Wir waren uns zuvor einig, dann haben wir uns nicht mehr verstanden“. MOSTAFA hatte ihnen immer Ratschläge erteilt und gesagt, das wird schon alles gut in Deutschland.

 

Die Frage des Richters, ob die Ratschläge des jüngeren Bruders mehr wert waren als die des Ehemannes, konnte der Zeuge nicht richtig beantworten, er sagte nur, „wenn sie auf den Bruder hört, hört sie nicht auf mich.“

Die Eheleute zogen dann in eine gemeinsame Wohnung. Dort gab es aber immer noch Probleme. Manchmal wollte sie sich trennen, aber sie konnte sich nicht entscheiden. Er wollte sich nicht trennen, aber am 4.9.15 wollte er sich dann auch trennen. Man kam dann überein, die Geburt des Kindes abzuwarten und sich dann zu trennen. RAMIAs Familie jedoch lehnte die Trennung ab. Es gab Gespräche mit FATMA und ihrem Mann, die „die Sache“ beruhigen wollten. Es wäre besser, die Ehe hätte Bestand.

Nach dem Entschluss zur Trennung war die Beziehung der Eheleute dann nur noch oberflächlich, es gab aber auch keine Streitigkeiten mehr.

 

Die Ereignisse des 7.1.16 schilderte der Zeuge wie folgt:

 

Er kam von der Arbeit nach Hause, da berichtete sein Sohn, dass RAMIA ihm scharfe Paprika in den Mund geschoben hatte. Das Kind hatte Angst vor RAMIA. In dem Augenblick beschloss AIMAN endgültig, dass die Trennung durchgeführt wurde. Er rief MOHAMMAD an und sagte ihm, dass er sich von seiner Frau trennen werde; RAMIA hatte MOSTAFA angerufen und ihn gebeten, sie abzuholen. Er hatte MOHAMMAD angerufen, weil dies RAMIAs älterer Bruder war; RAMIA hatte ursprünglich ihren Schwager anrufen wollen, aber der sah sich nicht in der Verantwortung für sie.

 

Die nachfolgende Vernehmung des Zeugen gestaltete sich äußerst schwierig. „Warum“- Fragen konnten jedenfalls nicht so beantwortet werden, dass man später auch nur ansatzweise wusste, warum die Brüder angerufen worden waren und was überhaupt das Ziel gewesen war. So antwortete AIMAN z.B. auf die Frage des Vorsitzenden, wie denn eine Lösung hätte aussehen sollen:


„Sie kann positiv oder negativ ausfallen“.


Die Zielvorstellung? „Die Trennung war vorrangig, wer in der Wohnung bleibt, darüber habe ich nicht nachgedacht“.

 

Zumindest sagte der Zeuge dann irgendwann, dass er MOHAMMAD gesagt hatte, er wolle sich von der Frau trennen, weil sie seinem Sohn Peperoni in den Mund gesteckt hatte.

 

Der Zeuge bestätigte, dass die Brüder dann zunächst weggingen, aber schließlich wiederkamen.
Richter: Warum kamen sie wieder? 
Zeuge: Sie fragten, woher das Geld kam.
Richter: Welches Geld und wie viel?
Zeuge: Es ging um 200,- $.
Richter: Wer soll die gezahlt haben?
Zeuge: Sie hat sie mir 2014 aus Ägypten geschickt.
Richter: Warum fragten die Brüder nach dem Geld?
Zeuge: Sie wollten wissen, woher das Geld kommt.
Richter: Hat Ihre Frau das Geld geschickt?
Zeuge: Ja
Richter: Woher wussten die Brüder das?
Zeuge: Keine Ahnung. Ich habe meiner Frau gesagt, sie solle antworten, das hat sie aber nicht gemacht, und dann ging es los.
Richter: was?
Zeuge: die Schlägerei.
Richter: wegen 200,-$?
Zeuge: das Problem hat mit dem Geld als solchen nichts zu tun, sondern woher es kommt.
Richter: es taucht auf, dass das Geld evtl. von einem Liebhaber kommt?
Zeuge: Das haben die Brüder vielleicht geglaubt und vermutet.
Richter: Haben die beiden das vorgehalten, also dass das Geld aus Prostitution kommt?
Zeuge: Ja, das hat MOHAMMAD laut gesagt. Er hat gefragt, „hast Du sie als Zuhälter vergeben“ und ich habe gesagt, Ihr habt keine Ahnung.

Das Gespräch kam dann auf die ominösen „Sex-Videos“.

Richter: In Ihrem Besitz war eine Speicherkarte mit Bildern, die ihre Frau nackt zeigten.
Zeuge: ja, aber die kannte keiner. Ich habe 2 oder 3 Passagen gesehen, aber dann habe ich das nicht ausgehalten. Die Karte war in ihrem Kleiderschrank. Ich habe sie darauf angesprochen, und sie hat sich entschuldigt.
Richter: Für wen sollten die Bilder sein?
Zeuge: Für eine Person in Ägypten.
Richter: Warum haben Sie die Speicherkarte nicht vernichtet?
Zeuge: Ich wollte ja Beweise haben, dass ich mich scheiden lassen will. Wenn die Scheidung zustande kommt, heißt das ja, dass wir nicht zusammenleben konnten. Die Karte war dafür, wenn wir keine Lösung finden könnten. In Syrien braucht man solchen Grund.
Richter: hatten Sie bei Ihrer ersten Ehe auch Fotos von Ihrer damaligen Frau?
Zeuge: Nein, damals wurde ich zur Ehe gezwungen. Die Bilder spielten am 7.1.16 keine Rolle.
Richter: Wie kam es dann am 7.1. zu der Auseinandersetzung, wenn die Bilder keine Rolle spielten?
Zeuge: des Kindes wegen wollten wir uns trennen.

Auf den Vorhalt von MOSTAFAs Einlassung erklärte der Zeuge, das hätte er am 7.1.16 nie gesagt.

 

Der Richter fragte dann noch nach, ob es sich bei den Bildern, die man auf dem Laptop des Zeugen gefunden hatte und auf denen ebenfalls unbekleidete Frauen zu sehen waren, auch um seine Frau handelte. Dies verneinte der Zeuge und erklärte noch, dass der Rechner nicht ihm gehöre, sondern einem Verwandten aus Freiburg.

 

Die Vernehmung von AIMAN wurde an dieser Stelle zunächst abgebrochen; er soll zu einem späteren Zeitpunkt in Begleitung eines anwaltlichen Zeugenbeistandes weiterhin angehört werden.


6. Ein Nachbar als Zeuge

 

Abschließend wurde dann ein türkischstämmiger Nachbar der Eheleute angehört, der im Haus bei seinen Eltern lebt. Er bekundete, dass er von der Familie bis zum 7.1.16 noch keine Streitigkeiten gehört hatte, obwohl das Haus sehr hellhörig sei.

 

Am 7.1. gegen 22 Uhr gab es dann lautes Geschrei im Haus. Dies ging dem Zeugen dann irgendwann auf die Nerven, so dass er die Tür öffnete. Vor der Tür stand AIMAN mit Blut an der Kleidung, der offensichtlich Angst hatte. AIMAN drängte sich in die Wohnung. Er rief dann die Polizei, während an die Tür gehämmert wurde.

 

Bis die Brüder hinter AIMAN hergelaufen kamen, hatte es sicher eine Minute gedauert. Einer der Brüder stand ebenfalls dann plötzlich in der Wohnung, den anderen hielt sein Vater vor der Eingangstür. Die beiden wirkten aggressiv, nicht verwirrt.

 

Der Zeuge bestätigte, dass beide vor der Tür standen, nicht einer oben und einer bei ihnen.

 

Abschließend behauptete der Zeuge noch, dass vor dem Haus bestimmt 6 Cousins der Brüder von gegenüber standen: „Die wussten alle Bescheid.“

Zum Abschluss der Verhandlung fragte MOSTAFAs Verteidiger noch danach, ob sein Mandant nicht einmal ans Grab der Schwester dürfe. Dies erstaunt insofern, als MOSTAFA keineswegs sonderlich bedrückt wirkte. Nach der Mittagspause gestikulierte er lachend mit Zuschauern, die offenbar dem Familienkreis entstammen.

 

Die Verhandlung wird am 06.09.2016 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Hanau, 01.09.2016
 
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