Für Entwarnung gibt es keinen Grund / 04. August 2011

„Ehrenmorde“: Für Entwarnung gibt es keinen Grund

Peri Verein für Menschenrechte und Integration e.V. kritisiert die relativierende und verharmlosende Berichterstattung, wie sie derzeit in einigen Medien im Zusammenhang mit der neuen BKA-Studie über „Ehrenmorde in Deutschland“ stattfindet, und gibt deshalb hierzu folgende Stellungnahme ab.

Die aktuelle Studie des BKA zum Thema „Ehrenmord“ wird in der öffentlichen Debatte dahingehend fehlinterpretiert, als dass eine vermeintlich geringe Anzahl solcher Morde uns Anlass zur Entwarnung geben soll. Das „Ehrenmord“- Problem sei, so die Argumentation, in Wahrheit doch ein sehr viel kleineres als in der Öffentlichkeit dargestellt. Dementsprechend spricht die Berliner „tageszeitung“ („taz“ am 02.08.2011) bereits in der Überschrift von einer „verzerrten Wahrnehmung“. Der Verein Peri kann dies aus seiner Praxisarbeit heraus nicht bestätigen. Fast alle Mädchen, die sich an uns wenden (allein in der bevölkerungsarmen und ländlichen Region Odenwald waren es zwischen 2003 und 2005 39 Fälle), werden von Gewalt und Ehrenmord bedroht, und fast die Hälfte der betreuten Frauen gehört – in Gegensatz zu den Erkenntnissen der BKA-Studie – zur höheren Bildungsschicht. Dennoch wird derzeit versucht, das Problem kleinzureden.

Dadurch droht in dieser Debatte auch völlig unterzugehen, dass „Ehrenmorde“ lediglich den radikalsten Ausdruck der Gewalt darstellen, die innerhalb der Familie aufgrund eines überholten Ehrbegriffes stattfindet. Manche Familien müssen nicht unbedingt Morddrohungen aussprechen, sondern verfügen über „subtilere“ Methoden der psychischen und körperlichen Gewalt, um ein rebellisches Familienmitglied gefügig zu machen. Und wenn der „Ehrenmord“ in vielen anderen Fällen unterbleibt, so muss das nicht daran liegen, dass die betreffenden Familien dem „Ehrenmord“ ablehnend gegenüberstehen – es kann auch vielmehr darin begründet sein, dass das Opfer flieht oder sich eben fügt und so den Mord verhindert. Letztlich ist auch nicht klar, ob jeder „Ehrenmord“ überhaupt als solcher erkannt wird.

Wir fragen daher: Wie viele als Selbstmord getarnte „Ehrenmorde“ kommen auf jeden von der Justiz tatsächlich erkannten „Ehrenmord“? Zehn? Zwanzig? Wie viele Fälle von „Ehrenmord“- Androhungen, Schlägen und Nötigungen kommen auf jeden tatsächlich durchgeführten Ehrenmord? Fünfzig? Hundert? Hierüber gibt es keine konkreten Zahlen. Solange wir jedoch von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen müssen, gibt es für den entwarnenden und verharmlosenden Ton in der Berichterstattung keinen Grund.

Zudem ist auch der Blick auf jene zu werfen, die möglicherweise nicht selbst zu Tätern werden, aber für die Tat Zustimmung äußern. Wie hoch ist in diesem Milieu die Zahl derjenigen, die „Ehrenmorde“ heimlich oder offen gutheißen? Im Fall von Hatun Sürücü wurde berichtet, wie muslimische Schüler in Berlin aus ihrer Zustimmung für die Tat keinen Hehl machten, und im Kommentarbereich des Youtube- Gedenkvideos für die in Hamburg ermordete Morsal Obeidi äußerten afghanischstämmige Nutzer, ihrer Schwester in einem ähnlichen Fall das Gleiche antun zu wollen.

Peri e. V. möchte daher auch den Blick auf die Wertevorstellungen lenken, die in bestimmten Milieus herrschen: Inwieweit ist ein reaktionäres Frauenbild Ursache des Phänomens des „Ehrenmordes“? Lehrkräfte berichten von muslimischen Grundschülerinnen (!), denen von den Eltern eingetrichtert wurde, dass sie keinen Jungen anfassen dürfen, Mädchen werden von Klassenfahrten und vom Schwimmunterricht abgemeldet, in manchen Familien müssen die weiblichen Mitglieder sofort hinter verschlossenen Türen verschwinden, wenn ein Besucher eingelassen wird. Wer in dieser Form unterschiedliche Verhaltensregeln für Jungen und Mädchen sowie für Männer und Frauen festlegt, schafft auch die geistigen Grundvoraussetzungen für den „Ehremord“.

Wir widersprechen auch der Einschätzung, wie sie in der „taz“ geäußert wird, wonach der „Ehrenmord“ kein religiöses, sondern ein soziales Problem darstelle. Die Rolle der Religion darf nicht ausgeblendet werden. In der ARD-Dokumentation „Verlorene Ehre – Der Irrweg der Familie Sürücü“ äußert die Zeugin Melek A.: „Ayhan hat dann ja auch noch erzählt, dass Mutlu die Waffe besorgt hat und in einer Moschee die Bestätigung bekommen hat, dass die Tat erlaubt sei.“
Und Mutlu selbst kommt im Verlauf der Dokumentation ebenfalls zu Wort und rechtfertigt die Ermordung seiner Schwester damit, dass sie in einem „islamischen Staat“ wegen ihrer Unzucht ohnehin zum Tode verurteilt worden wäre. Es muss also untersucht werden, inwieweit religiöse Vorstellungen einen erheblichen Einfluss auf die Täter haben.

Peri e. V. vertritt die Position, dass jedes Opfer eines zu viel ist und relativierende Äußerungen daher völlig unangebracht sind. Deutsche Medien zeigen noch immer einen ängstlichen und undifferenzierten Umgang mit dem Thema. Wir verweisen darauf, dass die genannte BKA-Studie lediglich überführte „Ehrenmörder“ in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellt und dass sich daraus keine Zahlen hinsichtlich der tatsächlichen Verbreitung dieses Phänomens ableiten lassen. Aufgrund der Erfahrungen seiner Praxisarbeit und der Menge der von uns betreuten Fälle geht
Peri e. V. von einer wesentlich größeren Anzahl von durchgeführten und angedrohten Ehremorden aus.

 

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