Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Mordkomplott-Prozess in Wuppertal / 13. Dezember 2013

Vor dem Landgericht in Wuppertal wird seit dem 22. November 2013 ein bizarrer Prozess verhandelt, den peri e.V. beobachtet, weil es sich auch hier wieder um eine Familienbande handelt, die in einer von traditionellen Vorstellungen geprägten Welt lebt.

Bei den Angeklagten handelt es sich um den 72-jährigen Fehmi S., seinen Cousin Nuh C., dem Ehemann der Nichte des vorgenannten Nuh C., Zekeriya Y. und dem in Belgien lebenden Mehmet S.

Den Angeklagten wird vorgeworfen, sich zu einer Geiselnahme verabredet sowie versucht zu haben, den Angeklagten Mehmet S. zu einem Verbrechen, nämlich Mord und Geiselnahme, zu bestimmen. Dem Angeklagten Mehmet S. wird vorgeworfen, sich zur Begehung eines Mordes und einer Geiselnahme breit erklärt zu haben.

Der Sohn des Fehmi S. hatte sich Anfang des Jahres von seiner Ehefrau getrennt. Seine 3 Kinder blieben bei der Mutter, die nur noch selten sah. Er war zu seiner neuen Lebensgefährtin gezogen, einer türkischstämmigen Niederländerin. Dem Vater, also dem Angeklagten Fehmi S., gefiehl dies nun überhaupt nicht. Er wollte unbedingt, dass sein Sohn zu seiner Ehefrau zurückkehrte. Zu diesem Zweck habe er sich, so die Anklageschrift, mit den beiden weiteren Angeklagten Nuh C. und Zekeriya Y. beraten, die ihm zu helfen versprachen.

Der Plan war, dass man den Sohn des Fehmi S. entführen und ihn zu seiner Familie zurückbringen wollte. Die neue Freundin sollte als Lektion misshandelt werden. Ein erster Versuch schlug fehl, weil die beiden Opfer nicht an der Stelle erschienen, wo man sie eigentlich abpassen wollte.

Die 3 Angeklagten vereinbarten dann, mittels eines Außenstehenden, nämlich dem Angeklagten Mehmet S., einen Auftragsmörder zu engagieren, der die Freundin tötet und den Sohn zu verschleppen und zur Familie zurückzubringen. Auch dieser Plan schlug fehl.

Es gibt im vorliegenden Verfahren also glücklicherweise keinen vollendeten Mord, das potenzielle Opfer lebt. Aufgeflogen war der Komplott, weil im Zuge eines Ermittlungsverfahrens in einer anderen Sache das Telefon des Angeklagten Zekeriya Y. abgehört wurde und sozusagen als „Zufallstreffer“ die Pläne der Angeklagten ans Tageslicht kamen.

Sämtliche Angeklagte sitzen seit Mai in Untersuchungshaft.

Der heutige Verhandlungstag (13.12.2013) begann mit diversen juristischen Geplänkeln: Es wurde die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag eines der Richter verlesen, der abgelehnt wurde. Die Verteidiger stellten noch diverse Aussetzungsanträge und weitere Befangenheitsanträge in Aussicht. Die Stimmung zwischen Verteidigung und Gericht war gereizt, bis der vorsitzende Richter vorsichtig auf die Möglichkeit eines sog. „Deals“ zu sprechen kam.

Aufgrund der Tatsache, dass es glücklicherweise keine Opfer zu beklagen gab und der Strafrahmen für die angeklagten Taten bei 3 Jahren beginne, es vielleicht auch Milderungsgründe gebe, sollten sich die Angeklagten doch überlegen, ob sie das Verfahren nicht mit einem umfassenden Geständnis abkürzen wollen.

Die Verhandlung wurde dann für einen längeren Zeitraum unterbrochen, damit die Verteidiger mit den Angeklagten diese Option erörtern konnten. Tatsächlich waren nach der Pause sowohl Fehmi S. als auch sein Cousin Nuh C. bereit, eine Einlassung abzugeben. Vorab gab der vorsitzende Richter noch zu Protokoll, dass er den Angeklagten erklärt habe, dass bei rückhaltlosen Geständnissen eine Freiheitsstrafe von weniger als 4 Jahren in Betracht käme.

Fehmi S. ließ über seinen Verteidiger erklären, dass die Anklage zutreffend sei. Nachdem sein Sohn sich von seiner Frau trennte und seine Familie verließ, habe der Angeklagte sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden. Die Kinder, also seine Enkelkinder, hätten immer wieder nach ihrem Vater gefragt. Er, Fehmi, hätte unter einem ungeheuren Leidensdruck gestanden und beschlossen, dass sein Sohn zu seiner Familie zurück müsse. Dies sollte mit allen Mitteln geschehen, ausdrücklich mit allen Mitteln.

Er hätte sich dann an die beiden mitangeklagten Familienmitglieder gewandt und dies um Unterstützung gebeten. Die beiden seien sofort bereit gewesen, weil sie sich Fehmi S. gegenüber verpflichtet fühlten – er sei für sie so etwas wie eine Autoritätsperson gewesen.

Es sei dann zu dem angeklagten Geschehen gekommen. Fehmi S. war es ein Bedürfnis zu erklären, dass er die Gesamtverantwortung für das Geschehen trage. Es tue ihm leid, seine Freunde in diese Situation gebracht zu haben.

Er bereue seine Tat zutiefst und habe gemerkt, dass seine Enkelkinder unter seiner Inhaftierung leiden. Er habe auch verstanden, dass sein Sohn das Recht habe, seinen eigenen Weg zu gehen. Er solle mit seiner neuen Freundin glücklich werden.

Er selber möchte nur dafür sorgen, dass seine Enkelkinder eine gute Ausbildung bekommen. Er lebe schon 40 Jahre in Deutschland und habe immer gearbeitet. Sein Ziel sei es stets gewesen, seinen Kindern beizubringen, dass man in einer Ehe in guten und in schlechten Tagen immer zueinanderstehen müsse. Dies hätte bei seinem Sohn nicht geklappt und dies müsse er jetzt annehmen.

Es sei richtig, dass er gewünscht habe, seinen Sohn mit allen Mitteln zurückzuholen. Auch unter grober Gewaltanwendung: „Ihr könnte ihm auch die Nase brechen".

Sein Ziel sei es nur, die Enkelkinder studieren zu lassen, sie seien in der Schule schlechter geworden, seit er inhaftiert ist.

Auf Nachfrage des Gerichts erklärte Fehmi S., dass sein Cousin nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Er hätte eigentlich immer nur den Kontakt zu Zekeriya Y. herstellen sollen. Dieser hätte nämlich im Rahmen eines Gesprächs den Eindruck vermittelt, dass er in dieser Sache helfen könne.

Der Angeklagte Nuh C. gab ebenfalls eine Erklärung ab: Er hätte von der Ehefrau des Fehmi S. erfahren, dass der Sohn die Familie verlassen habe. Er sei dann mit seiner Frau dorthin gefahren, um eine Art Beileid auszusprechen und zu überlegen, wie man helfen könne. Auch Zekeriya Y., dem er von den Ereignissen berichtet hatte, hätte helfen wollen. Man sei auch zusammen bei einem Hodscha gewesen.

Alle hätten nur die gute Absicht gehabt, den Sohn zu seiner Familie zurückzuholen. Es ging um Hilfe für Fehmis Familie, keiner hätte schlechte Absichten gehabt. Zu dem ebenfalls angeklagten Mehmet S. habe er allerdings nie Kontakt gehabt.

Den Vorwürfen der Anklage, soweit sie ihn betreffen, trete er nicht entgegen. Auch die Hintergrundgeschichte sei richtig: Fehmi hätte Sorge um die Enkelkinder gehabt, dass diese „ohne Familie“ aufwüchsen.

Der Verteidiger des Angeklagten Zekeriya Y. kündigte an, dass auch sein Mandant voraussichtlich eine Einlassung abgeben werde. Die Verteidiger des Angeklagten Mehmet S. wollen diesbezüglich noch abwarten.

Es wurde dann noch ein Mitarbeiter des hessischen LKA gehört, dessen Abhöraktion gegen Zekeriya Y. als Nebenprodukt zum Ermittlungsverfahren gegen die 4 Angeklagten geführt hatte.

Der Beamte schilderte, dass man im Zuge der Abhörmaßnahmen Gespräche über innerfamiliäre Probleme der Familie S. gehört hatte: Der Sohn des Fehmi S. sei zu seiner Geliebten Serpil in die Niederlande gezogen. Zekeriya Y. solle beauftragt werden, jemanden zu suchen, der Serpil tötet. Der Sohn sollte entführt und dem Vater zugeführt werden. Eine Freundin des Opfers Serpil sollte gefoltert werden.

Man habe dann zunächst Kontakt zu einem „Ahmed“ in Paris aufgenommen, den die Ermittler als einen französischen Staatsangehörigen türkischer Abstammung identifizieren konnten. Über diesen gab es bereits Erkenntnisse wegen Tötungsdelikten, sodass man die ganze Sache nicht als bloßes Geschwätz abtun konnte, sondern davon ausgehen musste, dass hier ernsthafte Pläne bestanden. Dieser Ahmed hätte jedenfalls darauf verwiesen, dass er Leute in den Niederlanden kenne, die für eine derartige Aktion in Betracht kämen.

Die Behörden in den Niederlanden seien informiert worden und hätten dann bei Serpil und dem Sohn des Fehmi eine „Gefährdetenansprache“ gehalten.

Nach einer Zeit hatte Fehmi S. den Verdacht abgehört zu werden, weswegen die Angeklagten weniger telefonierten und öfter persönliche Gespräche in einer Wohnung führten. Darauf lassen die Funkverbindungsdaten der Mobiltelefone zurückschließen.

Trotz des Wissens, dass nun die Polizeibehörden bereits involviert waren, drängte Fehmi S. nun darauf, die geplante Tat alsbald durchzuführen. Mehmet habe erklärt, man müsse dies in Ruhe vorbereiten, „wenn wir nicht vorsichtig sind, gehen wir für 15 Jahre in den Knast“. Gehandelt werden sollte auf 2 Ebenen: Tötung der Serpil und Entführung des Sohnes.

Kurioserweise sollte jedoch nicht nur Serpil getötet werden, sondern auch deren Verwandte in der Türkei sollten bestraft werden. Man hatte bereits versucht, die Verwandten ausfindig zu machen und sich dazu auch der türkischen Behörden bedient. Der Angeklagte Mehmet S. sei in die Strukturen der Grauen Wölfe fest eingebunden. Er wurde in der Türkei bereits einmal zu 33 Jahren Haft verurteilt, wohl wegen eines politisch motivierten Tötungsdeliktes. Mehmet S. hätte jedenfalls den Kontakt zu den entsprechenden Leuten in der Türkei. Auch die übrigen Angeklagten stehen den Grauen Wölfen nahe. Zekeriya Y. soll Vorsitzender der Grauen Wölfe in Remscheid sein.

Der Zeuge wies ausdrücklich darauf hin, dass das ganze Ermittlungsverfahren ein Zufallsprodukt einer ganz anderen Ermittlung sei: Zu keinem Zeitpunkt hätten Serpil oder Fehmis Sohn sich an die Polizei gewandt. Bedauerlicherweise hätte die Gefährdetenansprache eher zu einer Verschärfung der Situation geführt, nicht zu einer Deeskalation. Über Fehmis Sohn sei dann gesagt worden, bei ihm handele es sich um einen PKK-Kämpfer und Drogenkurier. Obwohl die Polizei sehr deutlich klarstellte, dass der Sohn mit der Aufnahme der Ermittlungen nichts zu tun habe, hätte sich die Familie in die Verdächtigung des Sohnes hineingesteigert.

An dieser Stelle wandte sich der Richter mit einem dringlichen Appell an die Angeklagten: Es gebe ein Leben nach diesem Verfahren. Fehmis Sohn habe niemals gegen den Vater oder den anderen Angeklagten ausgesagt. „Er hat Sie nicht in diese Lage gebracht.“, sagte das Gericht. Dem Familienfrieden sei ein umfassendes Geständnis zuträglich und man müsse dann den Sohn und seine Freundin nicht anhören.

Ob diese Worte bei den Angeklagten und ihren Familien, die zahlreich im Zuschauerraum vertreten waren, auf fruchtbaren Boden fielen, kann nicht beurteilt werden. Es wäre zu hoffen.

Das Verfahren wird am 19. Dezember 2013 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wiesbaden, 13.12.2013
 

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