Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Hanaa S. / 09. August 2016

1. Zum Hintergrund

 

Vorausgeschickt werden muss, dass eine Leiche bis heute nicht aufgefunden wurde. Dies macht es noch schwieriger, den möglichen Tatablauf und die Beteiligung der einzelnen Angeklagten nachzuweisen. Die Staatsanwaltschaft war sich aber immerhin so sicher über die Beteiligten überhaupt, dass sie Anklage erhob und diese auch zur Hauptverhandlung zugelassen wurde.

 

Das Opfer ist die zum Tatzeitpunkt 35jährige Hanaa S., die seit dem 21.4.15 spurlos verschwunden ist; angeklagt sind ihr Ehemann, zwei seiner Brüder, seine Schwester und der 17jährige Sohn des Opfers.

 

Die Männer sitzen in Untersuchungshaft; die Schwester befindet sich auf freiem Fuß. Sämtliche Anklagte schweigen zur Sache, kommen aber bei der Vorführung jeweils relativ gut gelaunt in den Gerichtssaal; die angeklagte Schwester lässt es sich nicht nehmen, von der Anklagebank aus auch das ein oder andere Mal im Zuschauerraum sitzenden Angehörigen zuzuwinken.

 

Nebenkläger gibt es nicht: weder eines der anderen Kinder des Opfers noch ein Mitglied der Herkunftsfamilie.

 

Bekannt ist jedenfalls, dass Hanaa, wie die Angeklagten eine irakische Jesidin, die mit 15 Jahren verheiratet wurde, schon früher vor ihrem gewalttätigen Ehemann in ein Frauenhaus geflohen ist und dass sie auch Zuflucht zu ihrer Herkunftsfamilie gesucht hatte, die sie jedoch wieder zu dem gewalttätigen Ehemann zurückschickte. 

 

Ich konnte bislang 2 Hauptverhandlungstage verfolgen, die ich inhaltlich zusammenfassen möchte, weil zumindest die Aussage des neuen „Partners“ einen Blick in die Verhältnisse erlaubte.

 

2. Der neue Partner berichtet

 

Er selber ist im Nordirak geboren, allerdings Muslim. Hanaa hat er über einen Chat kennengelernt; dort hatte sie ihm auch erzählt, dass sie von ihrem Mann getrennt in Leverkusen lebte und eine Tochter bei ihr lebte. Die beiden trafen sich dann einmal in Düsseldorf, wo sie ihm berichtete, dass sie im Frauenhaus wohnte. Warum dies so war, wusste der Zeuge nicht. Später trafen sie sich auch in Leverkusen, gingen dort spazieren und dann trafen sie sich auch in Neuss, wo Hanaa nach eigenen Angaben damals im Frauenhaus lebte.

 

Hanaa hatte ihm gesagt, dass sie von ihrem Mann bereits geschieden war und dieser schon eine neue Frau hatte.

 

Als er zu einem Besuch im Irak war, rief Hanaa ihn dort an und berichtete, dass sie bedroht wurde: sie hatte ein Foto auf ihr Handy bekommen mit einem Messer und Blut. Seine Frage, wer sie denn bedrohte, beantwortete sie mit „vielleicht mein Ex-Mann.“

 

Nachdem der Zeuge nun erfahren hatte, dass Hanaa Schwierigkeiten mit ihrem Mann hatte und eine große Familie im Spiel war, zog er sich etwas zurück. Er hatte vorher überlegt, Hanaa zu heiraten, aber er wollte keinen Ärger haben und versuchte sie zu bewegen, wieder zu ihrer Familie zurückzukehren. Dies insbesondere, weil Hanaa sehr um ihre andere Tochter geweint hatte. Später nahm das Jugendamt ihr auch noch die andere Tochter weg und brachte sie zum Vater. Nun war Hanaa unendlich traurig und sagte immer wieder, dass sie außer ihm niemanden mehr hätte.

 

Befragt nach dem Bild auf dem Handy, durch das Hanaa sich bedroht fühlte, konnte sich der Zeuge nicht mehr an Details erinnern – das hätte ihn nicht interessiert, er hätte nicht so genau hingeguckt. Ihm wurde vorgehalten, dass er bei der Polizei aber noch in der Lage gewesen war, Genaueres zu sagen. Es entstehe der Eindruck, als hätte der Zeuge Angst, woraufhin dieser antwortete: „Ich habe nur Angst vor Gott.“ Auch die Frage, ob zusätzlich zum Bild noch eine Nachricht geschickt worden war, beantwortete der Zeuge nur mit „ich weiß es nicht“. 

 

3. Angst vor der Familie

 

Außer mit ihrem Mann hatte Hanaa keine Probleme mit irgendjemand. Aber ihn hätte das auch nicht weiter interessiert, das war eben eine Frau. Warum Hanaa Probleme hatte, wusste der Zeuge nicht; sie wollte in die Schule gehen, einen Sprachkurs machen und einen Job suchen – sie wollte also ein selbständiges Leben. Als man ihr aber das Kind weggenommen hatte, war sie nur noch traurig und sah ihre Pläne zerstört. Er schlug ihr dann vor, zurück zu ihrer eigenen Familie zu gehen oder zu ihrem Mann und den Kindern nach Düsseldorf, denn: „Wenn ich mal gehe, bist Du sonst ganz allein“.

 

Da Hanaa so viel Angst hatte, war sie nun häufiger bei dem Zeugen und übernachtete kaum noch in ihrer eigenen Wohnung, aber „Wir haben nicht zusammen gewohnt“. Hanaa hatte ja schon vorher im Frauenhaus gelebt, wo ihre Familie sie gefunden hatte und bedroht hatte. Hanaa hatte ihm auch erzählt, dass ihr Mann ihren Vater bereits bedroht hatte, weil Hanaa noch das Gold von der Hochzeit hatte und er dies zurück verlangte.

 

Hanaa wollte dann eine neue Wohnung suchen, die alte hatte sie gekündigt. Das Frauenhaus in Solingen war belegt, so dass geplant war, dass Hanaa erst einmal zu ihm ziehen sollte, bis sie eine neue Wohnung gefunden hatte. Da Hanaa inzwischen einen Mini-Job gefunden hatte, hatten sie sich nicht mehr so oft gesehen.

 

Hanaa hatte ihm dann erzählt, dass sie jemanden gefunden hatte, der ihr Mobiliar abkaufen werde, so dass sie nicht so viele Sachen beim Umzug dabei hätte. Ein Teil der Sachen war schon abgeholt worden, und Hanaa hatte bereits eine Anzahlung von 150,- € bekommen. Am kommenden Tag sollten dann die Sachen abgeholt werden.

 

Am Morgen rief dann eine Frau an und wollte „seine Frau“ sprechen. Der Zeuge klärte auf, dass es sich bei Hanaa nicht um seine Frau handelte; die Anruferin bat ihn darum, Hanaa auszurichten, dass sie nun die restlichen Möbel abholen wollten. Der Zeuge rief Hanaa dann an und sagte ihr „Deine Kunden sind jetzt da und wollen die Möbel abholen.“

 

4. Hanaa ist verschwunden

 

Als er von der Arbeit kam, war Hanaa nicht in der Wohnung. Das beunruhigte den Zeugen zunächst nicht weiter. Er versuchte sie telefonisch zu erreichen; dies gelang ihm weder am Abend noch am kommenden Morgen. Sie war auch nicht an ihrem Arbeitsplatz, und Anrufe im Krankenhaus blieben erfolglos. Er hatte sich dann gedacht, dass da etwas nicht stimmt und die Polizei angerufen.

 

Zwei Polizisten gingen dann in die Wohnung und dort waren jede Menge Spuren zu sehen: Blutspritzer und Büschel dunkler Haare.

 

Der Zeuge konnte sich auch daran erinnern, dass die Polizisten eine Frau gefragt hatten, ob die etwas gesehen hatte, und sie hatte geantwortet: „2 junge Männer sind mit einem Teppich aus dem Haus gekommen, den sie in einen Transporter geladen haben“.

 

Befragt, wie sich der Zeuge die Zukunft vorgestellt hatte, meinte dieser, dass er Hanaa ja ursprünglich heiraten wollte, aber nachdem er das mit den Drohungen gehört und auch erfahren hatte, dass da eine große Familie war, hatte er sich zurückgezogen.

 

Der Zeuge berichtete noch, dass Hanaa ihm gesagt hatte, dass der Ex-Mann wohl im Irak Anzeige gegen ihren Vater erstattet hatte wegen des Goldschmucks. Diesen hatte Hanaa dem Zeugen einmal gezeigt („das war nicht viel“) und dann in einem Schließfach bei einer Bank deponiert; der Schlüssel war bei ihm.

 

Zu ihrer Herkunftsfamilie wollte Hanaa keinen Kontakt herstellen, insbesondere wollte sie nicht mit ihrem Vater sprechen, denn dieser hatte gesagt, das alles wäre schrecklich peinlich, denn „das ist dein Mann“. Der Vater verlangte, dass sie zu ihrem Mann zurückkehrte. Der Vater wollte nicht, dass Hanaa ihren eigenen Weg ging und ihren Mann verließ.

 

Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte der Zeuge wohl noch gesagt: „Das kennt man doch von dieser Religion, dass sie ihre Frauen umbringen.“

 

Der Zeuge erinnerte sich auch noch daran, dass Hanaa nach dem familiengerichtlichen Verfahren, bei dem offenbar dem Vater ihrer Kinder zumindest das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen worden war, weinend nach Hause kam und berichtete, dass ihre Kinder sie im Gericht beschimpft hatten; der Sohn hatte sie als „Schlampe“ bezeichnet.

 

Die Verteidiger wollten dann noch wissen, welcher Art die Beziehung zwischen dem Zeugen und Hanaa denn war, insbesondere, ob es sich um eine sexuelle Beziehung gehandelt hatte. Diese Frage ließ das Gericht nicht zu, weil es zur Erforschung der Wahrheit nicht darauf ankommt
(Anmerkung: das ist die richtige Einstellung, weil es tatsächlich nicht darauf ankommt, welcher Art die Beziehung tatsächlich war, sondern darauf, was die Familie meinte, welche Beziehung sie führten).

 

5. Weitere Zeugen berichten

 

Weitere Zeugen wurden vernommen zur Frage, ob das Haus hellhörig sei, ob sie Hanaa gekannt hätten und dann dazu, ob ihnen ein Fahrzeug in den Tagen um das Verschwinden aufgefallen war. Offenbar kannte fast niemand Hanaa näher; einzig eine Nachbarin hatte sie mal nach dem jungen Mann gefragt, der häufiger bei ihr war und den Hanaa ihr als ihren Bruder genannt hatte. Das Haus sei sehr hellhörig; es herrscht dort auch eine erhebliche Fluktuation an Bewohnern.

 

Mehreren Zeugen war ein weißer Transporter aufgefallen, die Rede war von einem weißen Sprinter, der später nicht mehr in der Umgebung zu sehen war.

 

An einem anderen Verhandlungstag, den ich besuchen konnte, wurde ein Nachbar angehört, der unmittelbar gegenüber der Wohnung von Hanaa wohnte und dem aufgefallen war, dass die Wohnungstür sperrangelweit offen stand, als er morgens zur Arbeit ging. Da es in der Wohnung so aussah, als zöge jemand um, hatte er sich nicht weiter darum gekümmert; auch als er abends wieder zurückkehrte, war die Tür noch genauso offen wie morgens.

 

Da sie am kommenden Morgen ebenfalls noch offen war, klopfte und rief er; es kam allerdings keine Reaktion. Er konnte sehen, dass ein Teppich aufgerollt war und dass Möbelstücke fehlten, z.B. ein Tisch, so dass er dachte, es zieht jemand aus.

 

Ob die Tür zwischenzeitlich geschlossen worden war, konnte der Zeuge nicht bestätigen. Er hatte dies zwar bei der Polizei ausgesagt; da die Verständigung aber auf Englisch erfolgte, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass hier ein Irrtum vorlag.

 

Ein Pärchen hatte dann bei ihm geklingelt und ihn gefragt, ob er die Nachbarin gesehen hätte. Ob dieses Pärchen zuvor schon in der Wohnung gewesen war, konnte der Zeuge nicht sagen. Diese Leute hatten schon die Polizei gerufen, und als sie mit den Polizisten gemeinsam die Wohnung betraten, rief der Mann laut „da ist Blut“.

 

Anschließend wurde ein Zeuge gehört, der 3 der Angeklagten aus dem Kiosk kannte, den er täglich besuchte, um dort seinen Kaffee zu trinken. Betrieben wurde der Kiosk offenbar von dem Ehemann des Opfers und seinem Bruder. Gespräche will der Zeuge mit den Angeklagten nicht weiter geführt haben, zumal diese untereinander auch nicht Deutsch sprachen.

 

Allerdings berichtete der Zeuge von einer merkwürdigen Begebenheit: Der Schwager des Opfers, offenbar Inhaber des Kiosks, bat ihn einmal, mit einem Taxi zum Gericht zu fahren und dort zu warten und zu gucken, ob „eine Frau dort ist“. Er weiß und wusste nicht, warum er darum gebeten worden war, fuhr aber mit einem Taxi zum Gericht und wartete dort ca. 2-3 Stunden. Gespräche zwischen ihm und dem Taxifahrer fanden auch nicht statt. Der Taxifahrer hatte ein Passbild, auf dem wohl die Frau abgebildet war, auf die man aufpassen sollte.

 

Seiner Vermutung nach ging es bei Gericht um die gemeinsame Tochter. Worum es ging und was mit der Tochter war, davon hatte der Zeuge keine Ahnung und offenbar auch nicht nachgefragt. Für seine Anwesenheit im Auto erhielt er jedenfalls ein Päckchen Zigaretten.

 

Äußerst schwierig gestaltete sich die Befragung zu den Fotos, die dem Zeugen bei der Polizei vorgelegt worden waren, einmal das Foto des Opfers und einmal ein Foto des Taxifahrers. Bei der Polizei hatte der Zeuge jeweils erklärt, dass es sich zum einen um die Frau auf dem Passbild gehandelt habe, zum anderen auch, dass das ihm vorgelegte Foto den Taxifahrer zeigte. Diesmal erklärte der Zeuge, das hätte er bei der Polizei nicht gesagt.

 

Zumindest den Taxifahrer erkannte er auf dem in diesem Termin vorgelegten Foto wieder; bei dem Foto der Frau war nicht klar, ob das Passfoto auch diese Frau (das Opfer) darstellte.

 

Er berichtete auch, dass der Kioskbetreiber ihn einmal gebeten hatte, auf den Laden aufzupassen, weil er wegmüsste. Er wollte dies eigentlich nicht, aber da war der Inhaber bereits mit dem Taxi weggefahren – obwohl sein PKW in unmittelbarer Nähe stand. Warum er um diesen Gefallen gebeten worden war, konnte der Zeuge nicht sagen.

 

Es wurde dann noch die Polizistin gehört, die besagten Taxifahrer wohl zunächst als Zeugen vernommen hat. Dieser gilt nämlich inzwischen als Beschuldigter und hat als solcher seine Aussage verweigert. Ob die Aussage der Polizistin vor Gericht über die polizeiliche Vernehmung des Taxifahrers verwertet werden kann, wird das Gericht zu entscheiden haben, weil die Verteidiger rügten, dass bei der Polizei anfangs nur eine Zeugenbelehrung, nicht aber eine Beschuldigtenbelehrung erfolgte.

 

Interessierte Zuschauer können auf der Internet-Seite des LG Wuppertal die Sitzungstermine mit dem Aktenzeichen 23 KLs 12/16 erfahren, um sich selber ein Bild vom Verfahren zu machen. Peri wird so oft wie möglich berichten. 

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Wuppertal, 09.08.2016
 
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