Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Iptehal Z. / 15. Juli 2013
Am 15. Juli 2013 wurde im Ehrenmordprozess um Iptehal Al-Zein das Urteil gesprochen: Der Bruder des Opfers Hüsein wurde zu einer Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten wegen Mordes verurteilt.
Der Onkel Hussain wurde zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe wegen Mordes bestraft, die Mutter der Getöteten wurde zu einer Geldstrafe von 1500€ wegen uneidlicher Falschaussage im Prozess gegen
Iptehals Cousin verurteilt, im Übrigen aber freigesprochen, der Onkel Mohamad wurde freigesprochen.
Die Gerichtszusammenfassung der Sachverhalte
Die Aufarbeitung der Tat hatte bislang 5 Jahre gedauert. Nachdem Iptehal am 1. September 2008 tot aufgefunden wurde, sind die Ermittler immer wieder darauf gestoßen, dass die Familie Iptehals ihren
Lebenswandel missbilligte. Das Gericht hatte sich bemüht, ein Bild von den Familienverhältnissen zu machen und kam zu dem Ergebnis, dass es eine bestimmte „Heiratspolitik“ innerhalb des Clans gab, da
nämlich im Wesentlichen untereinander geheiratet wurde. Laut Erklärungen des psychologischen Sachverständigen Dr. Jan Kizilhan diene diese „Heiratspolitik“ der Stabilisierung des Familienverbundes.
Im Weiteren hatte der Sachverständige festgestellt, dass es sich um eine in ihren Denkmustern patriarchalisch geprägte Familie handele, die insbesondere auch von Frauen
bestimmte Verhaltensweisen erwartet bzw. bestimmte andere Verhaltensweisen verbiete: Frauen und Mädchen hätten nicht allein auszugehen, sie hätten nicht in einer eigenen Wohnung zu leben und
sie hätten nicht Freundschaften zu unterschiedlichen Männern pflegen dürfen.
Gegen alle diese Vorstellungen habe Iptehal verstoßen. Sie habe ein Leben führen wollen, wie es in ihrer deutschen Umgebung üblich war. Dieser Lebensstil und vor allem auch ihre Beziehung zu
einem Türken verletzten das Ehrempfinden der Familie. Besonders weil es zu keiner Eheschließung mit dem türkischen Mann kam.
Nachdem Iptehal den kranken Vater gepflegt hatte und dieser später verstarb, kam es zum Bruch zwischen Iptehal und ihrer Familie, denn die junge Frau wollte ihr früheres Leben wieder aufnehmen. Sie
erlitt Beschimpfungen und Schläge und ihr wurde mit dem Tode gedroht. Auch als sie im Frauenhaus lebte hatte sie nachweislich ständig Angst vor einer Tötung.
Auch durch diese Angst ließ sie sich jedoch nicht zur Umkehr bewegen, besorgte sich vielmehr eine eigene Wohnung, auf die sie sich freute und für die sie bereits Hausrat gekauft hatte.
Ihr Bruder Hüsein kam offenbar mit der Situation nicht zurecht. Wenn Iptehal mal zur Familie kam, schlug er sie. Iptehal ihrerseits war nicht in der Lage, sich hinreichend von der
Familie abzugrenzen, sondern wollte durch ihre Besuche der Familie immer wieder zeigen, dass sie sich der Familie verbunden fühlte.
Die Tat selber sei vom Bruder Hüsein und vom Onkel Hussain geplant worden, resümiert das Gericht. Hüsein sei dabei die Rolle zugefallen, sich um die „Heranführung“ des Opfers zu
kümmern. Iptehal habe sich gefreut, als ihr Bruder sie anrief, um sie zu einem Besuch bei einem Onkel in Wuppertal mitzunehmen. Gleichzeitig habe sie allerdings auch Ängste gehabt und hatte sich
deshalb von einer Mitbewohnerin des Frauenhauses eine Kette mit dem „türkischen Auge“ als Glücksbringer ausgeliehen.
Der Besuch in Wuppertal fand allerdings nicht statt. Wie es zu der Absage kam, konnte das Gericht nicht aufklären. Der Onkel habe dann auf dem Rastplatz, wo er von Ezzedin und Hüsein hingebracht
worden war, gewartet. Iptehal wäre sicher nicht in das Fahrzeug gestiegen, wenn sie ihn dort gesehen hätte, da die Mutter immer wieder vor ihm gewarnt hatte.
Iptehal wurde dann im Gebüsch sitzend oder liegend erschossen. Dabei habe der bereits verurteilte Ezzedin sie an den Beinen festgehalten.
Das Gericht hatte beim Bruder Hüsein die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen berücksichtigt, dass Hüsein zum damaligen Zeitpunkt wohl psychisch beeinträchtigt gewesen sei. Er
leide an einer multiplen Persönlichkeitsstörung und sei leicht beeinflussbar und sei so zu stark in den Sog des Onkels geraten.
Bezüglich des Onkels Hussain gebe es keinerlei Hinweise auf eine psychische Beeinträchtigung, vielmehr sei die Tat sehr kaltblütig geplant gewesen, was dem sog. „ökonomischen Prinzip“ bei
Ehrenmorden, das der Sachverständige Dr. Kizilhan erwähnt hatte, entspreche.
Das Geständnis des Bruders Hüsein sei nicht zu widerlegen gewesen. Das Gericht hat nach dem sogenannten Günstigkeitsprinzip für die beiden Verurteilten sogar jeweils angenommen, dass die Initiative
vom jeweils anderen ausging. Aber auch der Onkel war in das Geschehen eingebunden. Die Familien seien bis zur Tat keineswegs zerstritten gewesen.
Der Onkel hatte bei der Polizei bereits gestanden, dass er am Tatort war. Dies werde auch durch die Funkdaten bestätigt. Sein Tatbeitrag sei durch seine Anwesendheit am
Tatort klar belegt. Darüber hinaus war das Fluchtverhalten des Onkels ein klares Zeichen für seine Mittäterschaft. Der Onkel floh nach der Tat nicht nach Finnland, wo die Familie lebte, oder
nach England, wo er sich zum damaligen Zeitpunkt dauerhaft aufhielt, sondern nach Syrien, dem einzigen dieser Länder, bei dem er vor einer Auslieferung nach Deutschland sicher sein konnte. Nur in
Syrien war er dem Zugriff entzogen und dies wäre nicht nötig gewesen, wenn er tatsächlich nur Zeuge gewesen wäre.
Zur rechtlichen Würdigung sagte das Gericht deutlich, dass es sich um einen Mord aus niedrigen Beweggründen handele. Die Täter wollten ihr übersteigertes Ehrgefühl an Iptehal
ausleben.
Eine andere Würdigung wäre nur möglich, wenn die Täter so in ihren Sitten und Gebräuchen verhaftet wären, dass sie die Niedrigkeit des Tötungsmotivs nicht hätten erkennen können. Dies sei weder bei
Hussain noch bei Hüsein der Fall. Beide lebten im europäischen Umfeld und wussten, dass die hiesige Rechtsordnung eine derartige Tat nicht hinnimmt.
Die Mutter sei bezüglich des Mordes freizusprechen, weil ihr der Tatbeitrag laut Anklage nicht nur nicht nachgewiesen werden konnte, sondern sogar widerlegt wurde. So haben nicht sie
Iptehal nach Schwerte gelockt, sondern der Bruder. Dies hatten auch mehrere Zeuginnen ausgesagt.
Das Gericht verurteilte die Mutter allerdings wegen ihrer Falschaussage im Prozess gegen Ezzedin, wo sie behauptete, sie hätte Iptehal nie als „Schlampe“ oder „Hure“ bezeichnet. Zeugen hatten ganz
klar bestätigt, dass sie genau diese Bezeichnungen für ihre Tochter benutzte. Insofern war sie wegen uneidlicher Falschaussage zu verurteilen: 150 Tagessätze zu je 10 € (1500 €) seien angemessen, so
das Gericht.
Der zweite Onkel (Mohamad) wurde frei gesprochen, da die Erklärung für seine Anwesendheit in der Nähe des Parkplatzes als erwiesen angesehen wurde. Zeugen bestätigten, dass Mohamad
sich mit einem Autohändler traf und geschäftlich am Tatort war.
Die Haftbefehle gegen die beiden Verurteilten bleiben wegen Fluchtgefahr erhalten. Insbesondere gegen Hüsain, der zwar noch bei seiner Mutter lebt, aber das Gericht es als erwiesen
ansieht, dass die Mutter keinen kontrollieren Einfluss auf ihn besitzt.
Zum Abschluss wollte Hüsein noch einmal mit seiner Mutter sprechen, was ihm auch zugestanden wurde. Dazu kam es dann aber nicht mehr, weil es noch im Gerichtssaal zu tumultartigen
Szenen kam, als die beiden inzwischen offenkundig schwer zerstrittenen Familien (Angehörige des Onkels Hussain und die Angehörigen des Bruders Hüsein) aufeinander losgingen. Nachdem erst
einmal nur geschrieen wurde, versuchte sogar der verurteilte Bruder über den Tisch zu springen und auf die „feindlichen“ Angehörigen loszugehen. Es wurde gezerrt, geschlagen, geboxt und ein
Stuhl wurde geworfen. Die herbeigerufenen Wachtmeister konnten die aufgebrachte Menge kaum bändigen. Einer der Beteiligten erlitt eine Kopfverletzung mit einer dicken Beule. Es dauerte gut
10 Minuten, bis die Beteiligten aus dem Saal gebracht werden konnten.
Die unbeteiligten Zuschauer und die Pressevertreter, die teilweise hinter der Absperrung zur Richterbank Schutz gesucht hatten, mussten dafür Sorge tragen, dass sie nicht von den tobenden
Familienmitgliedern oder umherfliegenden Gegenständen getroffen wurden. Es steht fest, dass dieses Verfahren in die Familien keine Ruhe gebracht hat. An Iptehal dachte zu diesem Zeitpunkt sicher
niemand. Wobei allerdings anzumerken ist, dass man während des gesamten Prozesses nicht ein einziges Mal den Eindruck hatte, dass irgendein Familienmitglied, sei es angeklagt oder Zuschauer,
überhaupt an Iptehal dachte.
Der Prozess hat vor Augen geführt, dass mitten unter uns Menschen leben, die in Denkmustern verhaftet sind, die für die Mehrheitsgesellschaft nicht verständlich sind. Diese
traditionell und patriarchalisch strukturierten Familien lassen sonst keinen Einblick in ihr Leben zu. Das mag sich auch einer der Gründe für die permanente Heirat untereinander sein. Gefährdet sind
in diesem Kontext jene Familienmitglieder, die aus diesen Strukturen ausbrechen wollen. Die Tötung eines unbotmäßigen Familienmitgliedes, das angeblich irgendeine diffuse Ehre beschmutzt hat, ist in
diesen Familien eine ernsthafte Handlungsoption.
Peri e.V. dankt dem Gericht für die klaren Worte, die in der Urteilsbegründung gefunden wurden, insbesondere für den Hinweis, dass diese Tat auf einer sittlich untersten Schiene
steht und durch keine Kultur gerechtfertigt ist.
Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Hagen, 15.7.2013
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