Aufrichtigkeit in der Integrationsdebatte / 08. November 2012
Für Aufrichtigkeit und Offenheit in der Integrationsdebatte!
Humanisten und Menschenrechtler verurteilen die Verunglimpfung von Heinz Buschkowsky
Ein Aufruf
Mit stetig wachsender Sorge betrachten wir den Verfall der demokratischen Debattenkultur, wenn brisante Themen wie Integration, Parallelgesellschaften und Frauenrechte in bestimmten
Migrantencommunitys zur Sprache gebracht werden. Heinz Buschkowskys Buch „Neukölln ist überall“ hat erwartungsgemäß die üblichen Verharmlosungs- und Diffamierungsreflexe hervorgerufen. Große Teile
der Kritik, die nun dem Autor entgegenschlägt, zeichnet sich durch Unwilligkeit und Unfähigkeit aus, einem nachdenklichen und problemorientierten Text angemessen zu begegnen, der Befunde in konkrete
Lösungsvorschläge überführt.
Durchaus gibt es kritische Stimmen, die sich sachlich mit dem Buch von Heinz Buschkowsky auseinandersetzen. Das ist legitim und sollte im Sinne einer gesellschaftspolitischen Debatte auch
selbstverständlich sein. Auch wir als VerfasserInnen und UnterzeichernInnen dieses Aufrufs stimmen nicht mit jeder einzelnen Aussage von Heinz Buschkowsky überein. Wir wenden uns daher folgerichtig
auch nicht gegen die wenigen ernstzunehmenden Buschkowsky-Kritiker, sondern gegen die Mehrheit der Polemisierer und Diffamierer, die mit Rassismus- und Rechtspopulismusvorwürfen, Breivik-Vergleichen
und sprachlichen Entgleisungen zeigen, dass sie an keiner sachlichen Auseinandersetzung interessiert sind. Aus diesem Umfeld, das sich in den letzten Wochen lautstarkmarktschreierisch in der
Öffentlichkeit artikuliert hat, werden wir ständig mit Falschaussagen und Halbwahrheiten versorgt, wie sie haarsträubender kaum sein könnten. Wenn nun etwa die Rede davon ist, dass Buschkowsky weder
Lösungen noch Positivbeispiele aufzeige, dann muss man davon ausgehen, dass bestimmte Kritiker sich an einer Buchkritik ohne vorhergehende Lektüre versuchen. Buschkowskys Lösungsversuche, denen man
selbstverständlich zustimmend oder ablehnend gegenüberstehen darf, sind mannigfaltig und umfassen: altersgerechte Sachleistungen statt Kindergeld; Kindergartenpflicht; Ausbau von Ganztagsschulen;
gezielte Sprachförderung; stärkere Konzentration auf Unterschichtenkinder im Bildungssystem; eine andere Debattenkultur; konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten usw. Beispiele für gelungene
Integration werden, entgegen der Behauptungen seitens der Kritiker, in dem Buch mehrach genannt, so auf den Seiten 59-60, 79-81,112-113, 286-290, 301-302, 311-312 und 322-324. Der Schwerpunkt des
Buches liegt freilich auf der Betrachtung der Beispiele für misslungene Integration, was aber bei einem Text, der sich als problemorientierte Fehleranalyse versteht, auch gar nicht anders sein
könnte. Der Vorwurf, dass Buschkowsky die Namen seiner Gewährsleute nicht nennt und immer nur von „einer Lehrerin“ oder „einem Polizisten“ schreibt, verwundert: Denn gerade der Umgang der Kritiker
mit Buschkowsky macht es doch mehr als verständlich, dass der Autor des Buches seine Helfer durch Anonymisierung davor bewahren will, zur Zielscheibe von Diffamierungen und Schikanen zu werden.
Die in einem Leitartikel der Frankfurter Rundschau zu Ausdruck gebrachte Mahnung, „Es wäre viel gewonnen, wenn jetzt keine Debatte über den Lokalpolitiker Buschkowsky entsteht“, blieb leider
ungehört. Ein Diffamierungskartell, das fürchtet, die Meinungshoheit über ein ihm ohnehin entgleitendes Problem zu verlieren, zwingt der Öffentlichkeit und somit auch uns diese Debatte auf, da
Schmähkritik nicht unwidersprochen bleiben darf. Wir fordern eine Rückkehr zu den Sachthemen der Integration. „Neukölln ist überall“ bietet dafür gute Ansatzpunkte.
Nicht wenige der Kritiker zeigen selbst eine fragwürdige paternalistiche Haltung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund und sind bislang bei der Bekämpfung gravierender Probleme und Gefahren in
der Einwanderungsgesellschaft („Ehrenmord“, Zwangsheirat usw.) kaum bemerkbar in Erscheinung getreten. Da sie eine aufrichtige Debatte um Integrationsdefizite behindern, sind sie Teil des Problems
und nicht Teil der Lösung. Verräterdebatten wie die gerade stattfindende, in der der gute Ruf Neuköllns höher gewichtet wird als die Überwindung der Probleme Neuköllns, sind nicht zielführend. Einen
Bürgermeister, der „seinen Bezirk schlechtredet“, in die Rolle des Nestbeschmutzers zu drängen, zeugt von einem Mangel an Kritikfähigkeit und demokratischer Debattenkultur.
Sieben der Neuköllner Initiativen, die sich gemeinsam öffentlich gegen Heinz Buschkowsky positioniert haben, wurden von uns mit der Bitte angeschrieben, die Anstoß erregenden Passagen des Buches
exakt zu benennen. Vier davon haben nicht geantwortet. Eine hat uns in einem kurzen Schreiben auf später vertröstet, eine andere hat lediglich eine einzelne Textstelle angegeben, die bereits mehrfach
in der Presse zitiert worden war. Die siebente hat drei Textstellen präsentiert, in denen auch bei näherer Betrachtung nichts Anstößiges zu finden ist. Mit anderen Worten: Bis jetzt ist nicht der
Eindruck entstanden, dass bei den als Kritikern auftretenden Initiativen eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Text stattgefunden hat. Die Behauptung, Buschkowskys Buch würde die Arbeit
dieser Initiativen erschweren oder bei Betroffenen gar „psychologische Belastungen“ hervorrufen, halten wir für wenig überzeugend. Durchaus denkbar ist aber, dass bei manchen Initiativen auch der
Gedanke eine Rolle spielt, dass Buschkowskys Buch die Forderung nach mehr Erfolgskontrollen bei der Integrationsarbeit zur Folge haben könnte - und dass solche Kontrollen letztendlich dazu führen
könnten, den Fluss weiterer staatlicher Gelder für die nachprüfbar erfolglosen Initiativen infrage zu stellen.
Wir treten Rassismus und Fremdenfeindlichkeit genauso entschieden entgegen wie allen gegen die Menschenrechte, Rechtsstaat, Demokratie und Pluralismus gerichteten Ideologien und Bewegungen,
gleichviel ob sie religiös oder weltanschaulich begründet werden. Unbegründete Rassismusvorwürfe sind aber dem Kampf gegen wirklichen Rassismus abträglich. Eine an humanistischen Leitideen
orientierte Integrationsdebatte zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Menschen unabhängig von seiner Herkunft als mündiges Wesen ernst nimmt und auf eine pauschalisierende Viktimisierung
verzichtet. Ein von Paternalismus geprägter Opferdiskurs, wie er in den Kreisen der Problemverharmloser gepflegt wird, ist nicht das Gegenteil des rechtsextremen Täterdiskurses, sondern seine
spiegelbildliche Entsprechung. In einem Land die Einhaltung der hiesigen Gesetze einzufordern, ist mitnichten, wie Buschkowsky von der Gegenseite unterstellt wird, ein rechtspopulistisches
Argumentationsmuster, sondern ein legitimer Aufruf zur Anerkennung einer auf Menschenrechten und demokratischer Entscheidungsfindung beruhenden säkularen Rechtsordnung.
Wir fordern daher eine aufrichtige, offene, sachliche und problemorientierte Integrationsdebatte, die Verunglimpfungen kritischer Stimmen vermeidet und keine Tabus aufbaut.
Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime e. V.
Thomas Baader, Pressesprecher von peri e. V.
Dr. Frank Berghaus, Hrsg. von www.wissenbloggt.de und Gründer der Initiative Humanismus
Dr. Ronald Bilik, Freidenkerbund Österreich
Serap Çileli, peri e. V. Verein für Menschenrechte und Integration
Free Minds
Sabatina James, Sabatina e. V.
Dr. Johannes Kandel, Publizist und Politikwissenschaftler, Berlin
Hartmut Krauss, GAM
Thomas Müller, Verein für Aufklärung und Freiheit (VAF e. V.)
Paul Nellen, Politologe und Journalist, Mitglied der Grünen Hamburg
Dr. Michael Schmidt-Salomon, Giordano-Bruno-Stiftung
Karin Vogelpohl, HINTERGRUND-Verlag
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