Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Iptehal Z. / 6. Juni 2013

Seit dem letzten Bericht von peri wurde im Mordprozess um Iptehal Z. inzwischen der Sachverständige Prof. Kizilhan zum Thema „Ehrenmord“ gehört. Da seine Ausführungen lediglich theoretischer Natur waren und auch nur sein konnten, weil Aussagen der Verwandtschaft wegen deren Zeugnisverweigerungsrechts nicht vorgetragen und damit deren kulturelle Hintergründe erfragt werden konnten, verweisen wir insofern auf den ausführlichen Bericht über die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Kizilhan im Verfahren gegen die Geschwister Özmen in Detmold.

In der Zwischenzeit sind die Mutter von Iptehal sowie der Vater von Ezzedin, der angeklagte Onkel Mohamad, aus der U-Haft entlassen worden. Dies war angesichts des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung auch nicht verwunderlich.

Der heutige Verhandlungstag brachte nun heftige Bewegung in das Verfahren: Der angeklagte Bruder ließ seine Verteidigerin eine Einlassung verlesen und antwortete erstmals auf Fragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft.

Hüsein bricht sein Schweigen

Hüsein gab an, erstmals mit etwa 14 Jahren Erfahrungen mit Drogen gemacht zu haben. Damals hätte er so einmal wöchentlich gekifft. Der Drogenkonsum habe sich dann gesteigert, als sein Vater krank geworden war. Er habe dann, um seinen Konsum finanzieren zu können, selber gedealt. Nachdem er seinen Führerschein gemacht und seine Freundin kennengelernt hatte, habe er mit den Drogen aufgehört. Er sei jetzt völlig clean.

Hüsein bestreitet, seine Schwester erschossen zu haben, doch räumte ein, genauso schlecht gehandelt zu haben, wie der Täter. Geschossen habe aber sein Onkel Hussain.

Als Iptehal seinerzeit mit ihrem türkischen Freund zusammengezogen war, hatte der Vater noch gelebt. Er hatte der engen Familie immer vermittelt, man könne da nichts machen. Der Vater habe Iptehal sogar Geld zukommen lassen, damit sie und ihr Freund gut leben konnten.

Erst als der Vater dann erkrankt sei, habe er Hüsein anvertraut, dass er über das Verhalten von Iptehal sehr traurig war und dass ihn dies belaste. Hüsein habe dieses ambivalente Verhalten des Vaters jedoch nicht einschätzen können: war dieser nun traurig, weil Iptehal sich so verhielt, wie sie es tat, oder war es seine Krankheit und der nahende Tod? Er habe sich für das Wohlergehen des Vaters verantwortlich gefühlt und wurde böse auf Iptehal, weil es dem Vater schlecht ging. Er habe sie beschimpft und geschlagen, denn sie hätte nur an sich gedacht und keine Rücksicht auf den Vater genommen. Er habe sich gedacht, Iptehal sollte sich so verhalten, wie es der Vater wünschte.

Die Mutter und die Schwestern hätten Iptehal allerdings verteidigt, so Hüsein. Gerade die Mutter habe Hüsein immer vorgeworfen, dass er Iptehal immer mehr vertreibe. Dabei habe er nur gewollt, dass Iptehal zur Familie zurückkehrt, um mit dieser gemeinsam um den Vater zu trauern. Er habe kein Verständnis gehabt, dass Iptehal ein eigenes Leben führen wollte. Er habe allerdings auch nicht gewusst, dass das Leben der Familie überhaupt in Schwerte ein Thema war.

Die Drogen hätten ihm das Gefühl gegeben, stark zu sein. Der Bruder lebte in Finnland und übernahm keine Verantwortung.

Hüsein habe dann festgestellt, dass seine ausländischen Freunde sich ihm gegenüber komisch verhielten, weil seine Schwester weg war. Er habe auch gemerkt, dass es bei den deutschen Freunden anders zuging als bei ihm, aber er habe sein Familienleben besser gefunden.

Mitte Juli 2008 habe Hüsein dann einen Anruf von seinem Onkel erhalten, weil dieser sich mit ihm treffen wollte. Sein Aufenthalt in Deutschland sollte allerdings gegenüber der Familie nicht erwähnt werden. Hüsein soll verwundert gewesen sein, dass sein Onkel sich nicht direkt an die Mutter wandte, traf ihn aber trotzdem zum vereinbarten Zeitpunkt. Bei diesem Treffen erkundigte sich Hussain nach Iptehal und zeigte sich sehr um die Familie besorgt. Iptehals Verhalten würde die ganze Familie in Diskredit bringen.

Weiter heißt es in der Einlassung, dass Hüsein das Gefühl hatte, sein Onkel wolle "die Sache mit Iptehal klären". Der Onkel soll unmissverständlich beschrieben haben, wie sich eine Tochter in seinen Augen zu benehmen habe und der verstorbene Vater von Iptehal zu schwach gewesen sei, das Familienleben entsprechend zu regeln und "die Flüchtige" zurückzuholen.

Die Anwesenheit des Onkels habe Hüsein zunächst "eine Last" abgenommen. Er nannte klare Verhaltensregeln, bezeichnete ihn aber als genauso schwach wie seinen Vater, weil er ebenfalls nicht für die Einhaltung der Regeln sorgen könne.

Iptehal habe Schande gebracht! Überall würde man über die Familie reden, weil Iptehal die Ehre der Familie verletzt und beschmutzt habe. Es müsse etwas geschehen, damit die Familienehre wiederhergestellt werde: damit war klar, dass Iptehal sterben musste. Dies sprach der Onkel auch genau so aus. Wenn Iptehal dann tot wäre, könne niemand mehr schlecht über die Familie reden.

Zunächst verlangte der Onkel, dass Hüsein die Schwester töten solle. Denn er sei der Bruder und habe nicht verhindert, dass alles so gekommen ist. Also sei er verantwortlich für die Schande. Er werde ihm eine Waffe besorgen.

Da es sich bei dem Onkel um den Bruder des verstorbenen Vaters handelte, ging Hüsein davon aus, dass aus diesen Worten auch die Gedanken des Vaters sprachen, dass dies auch die Einstellung des Vaters gewesen sei. Der Onkel habe klar gemacht, dass Iptehal getötet werden müsse, dann werde Ruhe in die Familie einkehren.

Hüsein hätte aber seinem Onkel erklärt, dass sie nicht töten könne. Sie sei doch seine Schwester! Allerdings glaubte aber auch er, dass Iptehal sterben musste. Seine Weigerung habe den Onkel erst wütend gemacht, dann habe er sich verständnisvoll gezeigt und gesagt, er werde das selber machen, aber Hüsein müsse ihm helfen. Einen genauen Plan habe es da noch nicht gegeben. Hüsein sollte nur den Kontakt zu Iptehal herstellen. Außerdem sollte er noch jemanden mit einem Auto suchen. So entschied er sich für seinen Cousin Ezzedin, der bis zur Tat aber überhaupt nichts von dem Plan wüsste.

Man sei dann "so herumgefahren" und habe den Onkel etwas später auf dem Rastplatz Sterbecker Siepen abgesetzt. Später sollte Iptehal dort hingebracht werden.

Hüsein rief also bei seiner Schwester an, die sich über seinen Anruf gefreut habe. Er habe ihr gesagt, er wolle mit ihr etwas essen gehen. Iptehal wurde von ihm und Ezzedin abgeholt, dann sei man mit ihr zum Rastplatz gefahren, wo der Onkel wartete.

Auf dem Parkplatz sei dann der Onkel gekommen und Iptehal aus dem Auto gezerrt. Sie habe unglaublich laut und voller Panik geschrien. Ezzedin sei völlig verwirrt gewesen und habe geschrien, was hier los sei. Ezzedin habe Iptehal festgehalten, während der Onkel an ihr zog, um sie aus dem Auto zu zerren. Plötzlich habe der Onkel eine Waffe in der Hand gehalten und einen Schuss abgegeben. Dieser galt aber Ezzedin, damit er endlich Ruhe gab.

Anschließend habe Hussain Iptehal zum Gebüsch gezogen. Es seien dann 2 oder 3 Schüsse gefallen, dann sei der Onkel zurückgekommen, ins Auto gesprungen und sie seien losgefahren. Hüsein habe man dann in Schwerte aus dem Auto gelassen und er sein nach Hause zurückgekehrt. Am nächsten Morgen habe er so getan, als sei nichts geschehen.

Gegenüber seine Familie habe er sich unbeteiligt gezeigt. Lange Zeit hätte Hüsein Angst gehabt alles zu erzählen. Mit dem Urteil gegen Ezzedin, der unbeteiligt gewesen sein soll, habe er weitere Schuld auf sich geladen. Erst in U-Haft habe er zu den Verteidigern hinreichend Vertrauen gefasst und diesen nun alles erzählt. Er könne sich nicht mehr unter den Augen seiner Mutter aufhalten. Damit endete die Einlassung des Angeklagten.

Hüsein war überfordert und zwiegespalten

Im Anschluss der Einlassung von Hüsein zog das Gericht mit einigen Fragen nach. So wurde nachgehakt, was das Interesse des Onkels an der ganzen Sache gewesen sein soll – darauf wusste Hüsein allerdings keine Antwort. Dass man schon im Ausland schlecht über die Familie sprach, erklärte Hüsein damit, dass sie eben im Ausland Familie und Verwandte hätten. Er selber konnte und kann sich aber nicht erklären, warum alles solche Wellen schlug.

Das Gericht fuhr mit der Befragung fort und erkundigte sich nach dem Unterschied zwischen den Familien seiner deutschen Schuldfreunde und seiner Familie.  Nach längerem Überlegen antwortete Hüsein, dass er, wenn er Probleme hätte, darüber mit seinen Schwestern reden könne. Er hätte das Gefühl, dass dies bei den deutschen Freunden nicht so sei. Auf die Frage des Gerichts nach Iptehals "Bestimmung", erklärte Hüsein nüchtern, dass sein Vater ein anderes Leben für Iptehal wollte, ein Leben zu Hause.

Nun frage die Richterin nach, warum Hüsein denn auch Stress mit der Schwester gehabt hätte und sie schlug, als sie während der Erkrankung des Vaters zu Hause gelebt hatte. Er gab an, überfordert gewesen zu sein und die Situation falsch eingeschätzt zu haben. "Kleinigkeiten" wie, wenn sie beispielsweise zu spät nach Hause kam, hätten ihn wütend gemacht, weil Iptehal sich um die Familie hätte kümmern sollen, anstatt "herumzulungern".

Iptehals Beziehung mit ihrem türkischen Freund war für Hüsein auch ein Problem und er habe sich immer gefragt, warum so etwas ausgerechnet ihr passierte.

Das Gericht verwies dann auf eine von Prof. Kizilhan geäußerte Theorie, dass Iptehals Fortgehen aus dem Elternhaus eine Schande war und durch eine Heirat mit dem türkischen Freund diese Schande von Iptehals Familie dann an den Ehemann weitergegeben worden wäre. Als Iptehal dann zurückkam, sei auch die Schande wieder zurückgekommen. Das wurde von Hüsein bestätigt und dies habe ihn sauer gemacht.

Nach Iptehals Auszug hätte sich das Verhältnis allerdings gebessert. Auch das Verhältnis zwischen Iptehal und ihrem Cousin sei gut gewesen. Ihm sei sie eigentlich egal gewesen.

Nach Ezzedins Verurteilung gab es mit diesem Zweig der Familie zwar noch Kontakt, allerdings sei dieser nicht mehr so eng gewesen, weil Iptehals Mutter davon ausging, dass Ezzedin an der Ermordung beteiligt war. Trotzdem zog Hüsein mit meiner Mutter und den Geschwistern nach Wuppertal, in die Nähe von Ezzedins Familie. Der Onkel Mohamad habe der Mutter gegenüber stets Ezzedins Unschuld beteuert und behauptete, dass sein Sohn zu Unrecht verurteilt wurde. Letztlich habe Iptehals Mutter das gelaubt.

Im ersten Prozess, in dem Ezzedin verurteilt wurde, gab Mohamad an, dass Hüsein gar nicht dabei gewesen war, als Iptehal ermordet wurde. Diesen Widerspruch begründete Hüsein damit, dass er und Ezzedin schworen, niemanden von der Tat zu erzählen oder sich gegenseitig zu verraten. Auf die Nachfrage des Gerichts, warum die beiden nicht von Anfang an gegen den Onkel Hussain ausgesagt haben, wusste Hüsein keine Antwort. Auch konnte er nicht die Fragen bezüglich diverser Telefongespräche beantworten.

Ferner stellte das Gericht fest, dass die Fahrtdauer zwischen Schwerte und dem Tatort in 45 Minuten hätte zurückgelegt werden können. Tatsächlich hätte man aber mehr als 1 Stunde gebraucht. Was war in der Zwischenzeit passiert? Auch darauf wusste der Angeklagte auch keine Antwort. Hüsein verweigerte weiterhin Angaben dazu, was er seiner Mutter erzählte.

Die Sitzkonstellation im Fahrzeug beschrieb der Angeklagte folgendermaßen: Ezzedin saß offenbar hinter dem Steuer und Hüsein neben ihm, auf dem Beifahrerplatz. Iptehal soll direkt hinter ihm gesessen haben. Ansonsten wäre es dunkel gewesen und er habe nichts weiter sehen können.

Dann fragte der Staatsanwalt nach, ob Ezzedin noch im Auto gesessen habe, als er Iptehal festhielt. Dies bestätigte Hüsein. Auf der Fahrt von Schwerte zum Rastplatz sei nichts Relevantes besprochen worden seien, nur Belanglosigkeiten und es lief Musik. Weiterhin fragte die Staatsanwaltschaft explizit nach, ob Hüsein wusste, was mit Iptehal geschehen werde, als er sie nach Hause lockte. Dies bejahte er.

Der Staatsanwalt sprach den Angeklagten dann auch auf den merkwürdigen Zufall an, dass dieser genau dann zur Polizei gegangen war, als der Onkel aus Finnland sich stellen wollte. Dies sei ihm nicht bekannt gewesen.

Ezzedin habe seinem Vater Mohamad erst nach 4 Jahren erzählt, dass auch Hüsein am Tattag dabei gewesen sei. Er selber habe Ezzedin in all diesen Jahren nicht im Gefängnis besucht.

Danach wurden keine weiteren Fragen mehr beantwortet.

Die Verhandlung wird am 7. Juni 2013 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Hagen, 6.6.2013
 
Kontakt für weitere Informationen:
Pressestelle peri e.V.
Bachgasse 44
D-69469 Weinheim
E-Mail: kontakt(at)peri-ev.de
Internet: www.peri-ev.de