Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Iptehal Z. / 16. April 2013

Der vierte Verhandlungstag begann mit der Vernehmung einer Zeugin, die Iptehal im Mai 2008 über eine Bekannte kennengelernt hatte. Iptehal hatte sich für die Arbeit der Zeugin interessiert, welche Kosmetikprodukte vertreibt. Sie habe ihr erzählt, dass sie beabsichtige, sich von der Familie zu trennen, weil diese mit ihrer westlichen Einstellung nicht einverstanden war. Ipthal wollte insbesondere auch über die Erzielung von Einkommen durch diese Arbeit sprechen.

Die Zeugin gab zu Protokoll, dass Iptehal große Anst vor der Familie gehabt hätte. Beim ersten Kontakt mit der Zeugin habe sie noch im Elternhaus gelebt, allerdings kam Iptehal kurz darauf in die Obhut eines Frauenhauses. Dort wollte sie zunächst verschiedene Sachen regeln, bevor sie sich am Geschäftsmodell der Zeugin beteiligt. Iptehal habe der Zeugin auch berichtet, dass sie einen vollständigen Kontaktabbruch wolle und auch beabsichtigte ihren Namen zu ändern, um nicht aufgefunden zu werden. Sie Zeugin erklärte dem Gericht, dass sie sich mit Iptehal etwa fünf bis sechs Mal getroffen habe, aber niemals jemanden aus ihrer Familie kennenlernte. Sie habe auch nie weiter nachgefragt, wenn Iptehal die Schwierigkeiten in der Familie ansprach.

Die Sehnsucht war größer als die Angst

Anschließend wurde eine Mitarbeiterin des Frauenhauses, in das Iptehal flüchtete, vernommen. Iptehalt hatte den Kontakt zum Frauenhaus über eine Beratungsstelle hergestellt. Sie war früher schon einmal geflohen, dann aber zur Familie zurückgekehrt, weil ihr Vater erkrankt war, der dann auch verstarb. Die Frauenhausmitarbeiterin berichtete, dass Iptehal zu Hause großer Gewalt ausgesetzt war und oft eingesperrt wurde.

Die Zeugin schilderte Iptehal als eine sehr präsente, wache junge Frau, die sehr zielgerichtet war und von der sie sicher war, dass sie ihren Weg gemacht hätte. Anfangs habe sie keinen Kontakt zur Familie gehabt. Doch die Sehnsucht plagte die junge Frau anscheinend sehr, insbesondere die Mutter habe sie vermisst und gegen den Rat der Zeugin zu dieser wieder Kontakt aufgenommen.

Iptehal habe erzählt, dass sie ihrer Mutter immer bei Behördengängen geholfen habe und auch für die Arbeit im Haushalt gebraucht wurde. Das Verhältnis zur Mutter schilderte die Zeugin sehr nachdrücklich als äußerst ambivalent. Auf der einen Seite hatte Iptehal Angst vor ihrer Mutter, doch auf der anderen Seite wollte sie ihr unbedingt zeigen, dass sie auch mit einem „westlichen Lebensstil“ etwas erreichen könne.

Besondere Angst habe Iptehal vor einem in Skandinavien lebenden Bruder gehabt. Sie habe schon in der Vergangenheit Dinge getan, die in den Augen der Familie nicht sein durften, und sei deshalb eingesperrt und geschlagen worden. Die Mutter habe Iptehal gesagt, dass ihre Lebensart von ihrer Religion nicht geduldet werde und dass sie, Iptehal, dafür büßen werde.

Trotz aller Probleme sei Iptehal optimistisch gewesen. Sie habe sich auf die eigene Wohnung gefreut und im Frauenhaus schnell Kontakte geknüpft und stand anderen Frauen hilfreich zur Seite. Mit einer Frau, die bereits ein Kind hatte, knüpfte Iptehal näheren Kontakt. Diese Frau habe auch schon einmal bei Iptehals Mutter übernachtet und erzählt, sie habe es dort gruselig gefunden.

Iptehal wollte nichts anderes, als ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Immer wieder kam in Gesprächen durch, dass sie ihre Mutter davon überzeugen wollte, dass auch ihre Art zu leben in Ordnung sei. Zum allgemeinen Erscheinungsbild gefragt schilderte die Zeugin Iptehal als eine ganz normal modisch gekleidete junge Frau.

Ein Frauenhaus ist kein Wellness-Hotel

Die anschließende Befragung der Frauenhausmitarbeiterin durch die Verteidiger gestaltete sich etwas bizarr, da es den Anschein hatte, als setze die Verteidigung alles daran, den Eindruck zu erwecken, so ein Aufenthalt in einem Frauenhaus könne für Frauen ja recht erholsam sein. Iptehal könne ja nahezu grundlos dorthin gegangen sein, so die Verteidigung. Es wurde mehrfach nachgefragt, ob das Frauenhaus die Geschichten, die sie von den Frauen zu hören bekommen, auch verifizierten, also penible Befragungen nach genauen Verletzungen usw. durchführten. Dies wurde von der Zeugin naturgemäß verneint. Sie verwies ausdrücklich auf ihre Erfahrung, dass sie schon einschätzen könne, ob an den Geschichten, die die Frauen erzählten etwas dran sei. Und Iptehal habe sie auf jeden Fall geglaubt. Die Zeugin versuchte deutlich zu machen, dass ein Frauenhaus kein Hotel ist, wo man es sonderlich gemütlich hat. Es ist ein Schutzraum für Frauen, die vor Gewalt fliehen und kein Urlaubsort.

Die Zeugin bekräftigte auch noch einmal, dass es durchaus üblich sei, dass gerade besonders junge Frauen trotz aller Warnungen immer wieder den Kontakt zur Familie suchen. So war es auch bei Iptehal. Sie fürchtete um ihr Leben, hatte große Angst, doch bagatellisierte ihre Ängste, um eine Kontaktaufnahme zur Familie zu wagen. Paradoxerweise brauchte sie die Nähe zu den Menschen, die für ihr Leid hauptverantwortlich waren.

Anschließend war für die Verteidigung wieder die Bekleidung ein Thema: Sie verwies darauf, dass auch die Schwestern von Iptehal modern gekleidet seien, ohne Kopftuch und hätten deshalb auch keine Probleme mit der Familie gehabt. Daraufhin erklärte die Zeugin, dass die Bekleidung ja nichts über die Lebenseinstellung aussage und insbesondere nichts darüber aussage, ob die Schwestern auch so lebten wie Iptehal, nämlich feierten und ausgingen.

Iptehal ahnte ihre Ermordung

Bei der nächsten Zeugin handelte es sich um eine frühere Nachbarin der Familie, die Iptehal als ihre damalige beste Freundin bezeichnete. Die Familien hätten sich gut verstanden und die Kinder hätten sich gegenseitig besucht. Iptehals Mutter sei freundlich zu ihr, der Zeugin, gewesen. Nach etwa einem halben Jahr begann Iptehal der Zeugin von den Problemen mit ihrer Familie zu berichten. Die Zeugin erklärte, sie habe sich damals nicht so richtig auf diese Gespräche einlassen können. Ihre Ängste seien immer größer geworden. Die junge Frau berichtete von einem TV-Abend mit Iptehal, an dem sie einen Dokumentarfilm über Ehrenmorde sahen. Daraufhin habe Iptehal der Zeugin gegenüber ihre Angst verraten, dass sie „die Nächste“ sein werde. Iptehal habe darauf gedrängt, gemeinsam ins Ausland zu gehen.

Nachdem Iptehal das erste Mal ins Frauenhaus geflohen war, habe die Zeugin die Ängste von Iptehal ernster genommen. Sie saß nach ihrer Rückkehr häufiger bei der Zeugin und weinte. Iptehal habe nach der Rückkehr erzählt, dass sie geheiratet habe, und hatte gefragt, ob sie mit ihrem „Mann“ bei der Zeugin bleiben könne. Die Zeugin hatte zunächst zugestimmt, dann aber geraten, doch lieber zur Familie zurückzugehen, zumal der „Mann“ nach kurzer Zeit ins Gefängnis musste. Als Iptehal dann wieder geflohen war, tauchten Familienmitglieder bei der Zeugin auf (beide Familien wohnten in der Zeit nicht mehr im gleichen Haus) und fragten nach Iptehals Verbleib.

Iptehal sehnte sich nach der Liebe ihrer Mutter

Die Zeugin stand mit Iptehal auch nach ihrer Flucht noch in Kontakt. Iptehals Ängste steigerten sich, gleichzeitig habe sie ihre Familie sehr vermisst. Inzwischen hatte die Zeugin allerdings auch den Eindruck, dass es nicht sinnvoll sei, wenn Iptehal zu ihrer Familie zurückkehrte. Dies resultierte aus weiteren Erzählungen von Iptehal: So habe man sie mit einem Messer bedroht (die Schwester hatte es ihr an den Hals gehalten), sie berichtete von schlimmen Schlägen und dass es seit dem Tod des Vaters schlimmer geworden sei.

Die Zeugin wollte mit Ipethal zur Polizei, das lehnte sie jedoch ab. Iptehal habe auch erzählt, dass sie gehört habe, dass der Bruder von der Mutter 100,- € haben wollte, um eine Waffe zu kaufen. Seit dieser Zeit lebte sie in noch größerer Angst. Dabei liebte Iptehal ihre Mutter und wollte nichts anderes, als von dieser ebenfalls geliebt und akzeptiert zu werden. So habe sie sich sehr gefreut, als sie einmal mit der Mutter gemeinsam in die Stadt gegangen war, und wurde todunglücklich, als man in der Stadt eine Bekannte traf und die Mutter Iptehal vor dieser beschimpfte.

Schon als der Vater lebte, sei das Familienleben sehr traditionsbewusst gewesen, was die Zeugin schön gefunden hatte (sie berichtete von Festen, auf die sie eingeladen war).

Die Schwestern hätten sehr auf Tradition geachtet und waren mehr auf die Familie fokussiert als Iptehal, die in der Familie aufgrund ihrer Ansichten und Wünsche eine Außenseiterin war. Die Schwestern waren völlig in der Spur der Mutter, ging nur in Begleitung aus. Iptehal hingegen fand die deutschen Freiheiten schön. So habe man zur WM zusammengesessen und gefeiert. Iptehal bekam prompt Probleme mit der Familie, die dieses Feiern nicht wollte. Letztlich habe sie den Traum gehabt, ein eigenständiges Leben zu führen, sie wollte Erzieherin werden und arbeiten. Sie habe Kurse an der VHS besucht, habe dort neue Menschen kennengelernt und sich mit ihnen getroffen.

Iptehal genießte das normale Leben

Auf die Nachfrage, woran die Zeugin denn festmache, dass Iptehal nicht so leben durfte, wie sie wollte, verwies die Zeugin darauf, dass Iptehal z.B. verboten worden sei, auf die Sonnenbank zu gehen. Dies führte zu dem Einwurf der Verteidigung, das sei ja auch ungesund, das würden deutsche Eltern ihren Kindern ja auch verbieten. Die Zeugin beantwortete dies mit dem Hinweis, dass deutsche Eltern aber im Regelfall nicht gleich ein derartiges Ansinnen mit Beleidigungen und Drohungen beantworten.

Iptehal habe sich sehr auf ihre eigene Wohnung gefreut. Die sollte der Start in ein neues Leben sein. Fernziel war es, nach einer Zeit des Geldsparens ins Ausland zu gehen und dort zu arbeiten. Abschließend wies die Zeugin erneut darauf hin, dass sie die Familie sehr nett gefunden hatte und das spätere Verhalten ihr völlig unverständlich war.

Iptehals Familie besaß eine Waffe zu Hause

Später wurde die Zeugin gehört, die mit Iptehal im Frauenhaus befreundet war und sie auch einmal zu ihrer Familie begleitet hatte. Sie konnte sich nur noch an wenige Details erinnern, was sicher auch der Zeitspanne geschuldet ist. Auch sie berichtete, dass Iptehal ihr von den Schlägen und Gewaltdrohungen ihrer Familie erzählt habe. Die meiste Angst hätte sie wegen einer im Haus befindlichen Waffe gehabt.

Als Grund für die Konflikte mit der Familie habe Iptehal angegeben, dass sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Die Zeugin gab an, es habe sich lediglich um eine sogenannte Imam-Hochzeit gehandelt. Auf die Nachfrage der vorsitzenden Richterin, dass die Familie mit dem Mann doch ohnehin nicht einverstanden gewesen war, erklärte die Zeugin, dass dies laut Iptehal egal gewesen sei, denn eine Trennung wäre eine viel zu große Schande gewesen.

Befragt zu Freundschaften meinte die Zeugin, Iptehal habe eine Affäre mit dem Freund einer Freundin gehabt und sich auch mit einem weiteren Freund getroffen.

Die Mutter trieb Iptehal ins Frauenhaus

Sodann wurde eine weitere Mitarbeiterin des Frauenhauses gehört, die mit den Bewohnerinnen üblicherweise die Behördengänge und alles „Verwaltungstechnische“ erledigt. Sie konnte sich daran erinnern, dass Iptehal wegen Problemen mit der Mutter ins Frauenhaus gekommen war. Sie hatte auch erzählt, dass sie bedroht werde und Angst vor einem Onkel hatte, der wohl aus dem Libanon kommen wollte. Dabei habe Iptehal auch die schlimmsten Ereignisse immer mit einer gewissen Lockerheit erzählt, fast wie ein “Märchen”.

Die Zeugin beschrieb Iptehal als pflichtbewusst und fleißig, als eine junge Frau, die etwas für sich erreichen wollte, ein modernes Mädchen, das Zukunftspläne hatte und wusste, dass sie mit dieser Zielstrebigkeit in Deutschland etwas erreichen kann. Die Zeugin habe ihr auch zugetraut, dass sie ihren Weg gehen werde und ihre Ziele umsetzen kann.

Zuletzt wurde noch die Mitarbeiterin des Frauenhauses vernommen, die seinerzeit das Aufnahmegespräch mit Iptehal geführt hatte. Diese konnte sich noch daran erinnern, dass Iptehal vor den Gewalttätigkeiten und Drohungen von Mutter und Bruder geflohen war und dass sie einen Zeitpunkt für die Flucht gewählt hatte, als diese beiden in der Stadt einkaufen waren.

Auch diese Zeugin beschrieb Iptehal als einen sehr offenen Menschen. Aufgrund des Zeitablaufes waren der Zeugin Einzelheiten nicht mehr präsent, zumal sie seinerzeit auch nicht von der Polizei vernommen worden war, sodass ihr auch diese Aussage nicht vorgehalten werden konnte.

Der nächste Verhandlungstermin ist am 23. April 2013

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Hagen, 11.04.2013
 

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